Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Einleitung<br />
Für einen weiteren gesellschaftstheoretischen Rahmen sei hier auf Edward Shils (1975,<br />
Center and Periphery. Essays in Macrosociology) <strong>und</strong> Niklas Luhmann (1998, Die<br />
Gesellschaft <strong>der</strong> Gesellschaft) verwiesen. Mit <strong>der</strong> Ausrichtung auf ein Charisma<br />
verfügen religiöse <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> über ein eigenes starkes <strong>Zentrum</strong>, das die<br />
Beziehungen zu einer Transzendenz <strong>und</strong> damit zu einer wie immer auch vorgestellten<br />
Existenz außerhalb <strong>der</strong> sozialen Welt festlegt. Diese Beziehung verschafft ihnen<br />
Unabhängigkeit im spirituellen <strong>und</strong> sozialen Bereich. Die Definition dessen, was als<br />
Transzendenz gilt, bestimmt die Haltung des einzelnen. Ein Gläubiger, <strong>der</strong> annimmt,<br />
daß eine transzendente Macht in den Ablauf <strong>der</strong> Natur <strong>und</strong> des sozialen Lebens<br />
eingreift, wird die Zeichen dieser Welt an<strong>der</strong>s deuten als ein Nicht-Gläubiger. In dieser<br />
Perspektive des Glaubens stellt sich die Relation von Immanenz <strong>und</strong> Transzendenz,<br />
d.h. das Verhältmis von Bestimmbarem <strong>und</strong> Unbestimmbarem (Luhmann) für den<br />
Gläubigen an<strong>der</strong>s dar als für den Nicht-Gläubigen. Dies hat Folgen für die Gestaltung<br />
des sozialen Lebens. Der Bezug des Gläubigen zur Transzendenz kann von den<br />
rituellen Handlungen bis zur täglichen Lebensführung reichen <strong>und</strong> bestimmt<br />
letztendlich auch die Grenze zur (nicht-gläubigen) Außenwelt.<br />
Gläubige, welcher religiösen Tradition sie auch angehören, interagieren also in<br />
einem Kräftefeld, das von <strong>der</strong> Beziehung zur Transzendenz bestimmt wird. Für<br />
Gläubige, die einer religiösen Min<strong>der</strong>heit angehören, kann diese Beziehung um so<br />
mehr an Bedeutung gewinnen, je größer die Distanz des Kollektivs zur<br />
gesellschaftlichen Kommunikation ist, z.B. zur Medienöffentlichkeit. Die Erfahrung,<br />
die eine religiöse Min<strong>der</strong>heit in <strong>der</strong> Vergangenheit gemacht hat, <strong>und</strong> die Weise, wie<br />
diese Erfahrung in das Gruppengedächtnis eingegangen ist, bestimmt mitunter die<br />
Fähigkeit, die eigene Grenze zu verlegen, Neues aufzunehmen o<strong>der</strong> aber sich<br />
Verbündete zu schaffen.<br />
"Alte" <strong>und</strong> "neue" religiöse <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong><br />
Im Hinblick auf den Stellenwert <strong>der</strong> Erfahrung erscheint es sinnvoll, die in diesem<br />
Band vorgestellten religiösen Gruppen in "alte" <strong>und</strong> "neue" religiöse <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> zu<br />
unterteilen. Zu den "alten" gehören die klassischen religiösen <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> des<br />
Vor<strong>der</strong>en Orients. Ihre Daseinsberechtigung wurde über lange Zeit nach den Kriterien<br />
<strong>der</strong> Islamischen Tradition bestimmt. Demzufolge waren die Aleviten heterodox o<strong>der</strong><br />
Abweichler, die den Weg zum "wahren" Glauben zurückfinden sollten. Die Yeziden<br />
ebenso wie die Baha6i wurden dagegen als ketzerisch definiert <strong>und</strong> waren damit<br />
Angriffen <strong>und</strong> Verfolgungen <strong>aus</strong>gesetzt. Die Orientalischen Kirchen wie<strong>der</strong>um<br />
gehörten zur ahl-al-kitab, waren "Leute des Buches". Sie besaßen damit einen gesetzlich<br />
geschützten <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong>status, <strong>der</strong> sie jedoch nicht vor örtlichen Übergriffen<br />
schützte. Die Definition bestimmte also das Maß, in dem die religiösen <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong><br />
in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> toleriert o<strong>der</strong> verfolgt wurden. Wie oben bereits <strong>aus</strong>geführt,<br />
än<strong>der</strong>te sich dies mit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> türkischen Republik, <strong>und</strong> damit<br />
verschlechterte sich die Lage <strong>der</strong> traditionellen religiösen <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> <strong>aus</strong> dem