13.12.2012 Aufrufe

Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

216<br />

Nikola Tietze<br />

daß eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> eigenen sozialen Situation in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

über den Umweg <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> geschieht. In ein "Außerhalb" <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

gestellt, trotz <strong>der</strong> sozialen Zugehörigkeit, die sich <strong>aus</strong> dem alltäglichen<br />

Handeln erschließt, scheint dem Individuum, nur <strong>der</strong> politische Bezug auf die<br />

<strong>Türkei</strong> als Konfliktualisierungsmodus <strong>der</strong> eigenen Lage offenzustehen.<br />

An den drei Beispielen wird deutlich, daß Erinnerung "Dialog mit <strong>der</strong> Gesellschaft"<br />

(Namer 1994: 299-367) ist <strong>und</strong> gleichzeitig eine Verarbeitung des<br />

individuellen Herkunftsmilieus darstellt. Die Erinnerungsfiguren, die eine<br />

"lignée croyante" - in diesem Falle die islamische TraditionB dem Gläubigen zur<br />

Verfügung stellt, werden von dem Subjekt gemäß seiner individuellen Situation,<br />

seiner sozialen Lage <strong>und</strong> seinem Handlungskontext entsprechend <strong>aus</strong>gesucht<br />

(Halbwachs 1994). Traditionelle Elemente erhalten so im Hier <strong>und</strong> Jetzt ihre<br />

Funktion <strong>und</strong> wandeln ihre Bedeutung durch ihre neuartige Verknüpfung bzw.<br />

durch ihre Rolle in einem für die Mo<strong>der</strong>ne typischen Subjektivierungsprozeß.<br />

Die verschiedenen Erinnerungsprozesse, die die individuelle Identifikation mit<br />

dem Islam einleitet, verbinden auf <strong>der</strong> subjektiven Ebene die Emanzipation von<br />

<strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> die Konstruktion eines "Selbst" in <strong>der</strong> Gesellschaft miteinan<strong>der</strong>.<br />

Individualisierung durch den Islam <strong>und</strong> Individualisierung des Islam<br />

Zusammenfassend läßt sich eine komplementäre Bewegung in bezug auf die<br />

muslimische Religiosität junger Männer feststellen: Es existiert eine Individualisierung<br />

durch den Islam <strong>und</strong> eine Individualisierung des Islam. Der erste<br />

Prozeß ist <strong>und</strong>enkbar ohne den zweiten. Ineinan<strong>der</strong> verschränkt implizieren<br />

wie<strong>der</strong>um beide eine Pluralisierung <strong>der</strong> Religiositätsformen. Vier Ausprägungen<br />

lassen sich auf einer heuristischen Ebene beschreiben: eine "kulturalisierte", eine<br />

"kommunitarisierte" o<strong>der</strong> "vergemeinschaftete", eine "ethisierte" <strong>und</strong> eine<br />

"emotionalisierte" Religiosität. Die "kulturalisierte" <strong>und</strong> die "kommunitarisierte"<br />

Form akzentuieren das Dazugehören. Der Glauben tritt in den Hintergr<strong>und</strong>, <strong>und</strong><br />

das Praktizieren des Islam ist geprägt von einem mechanischen Charakter. Wird<br />

die Zugehörigkeit zur "lignée croyante" <strong>der</strong> Muslime subjektiv in eine Kultur<br />

integriert, die man als "deutsche Turkizität" bezeichnen kann (Tietze 1997), so<br />

handelt es sich um eine "kulturalisierte" Religiosität. Die "kommunitarisierte"<br />

Form ist hingegen vornehmlich von dem Ziel geleitet, eine Gemeinschaft<br />

innerhalb einer Gesellschaft zu konstruieren. Der "vergemeinschaftende"<br />

Muslim wird zu einem Akteur in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik durch das Betonen seiner<br />

konfessionellen Zugehörigkeit, <strong>der</strong> "kulturalisierende" ordnet hingegen seine<br />

muslimische Religiosität an<strong>der</strong>en Handlungsprinzipien unter. Die religiöse<br />

Identifikation spielt nur eine implizite Rolle für das Agieren in <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Die dritte <strong>und</strong> vierte Ausprägung <strong>der</strong> muslimischen Religion in <strong>der</strong> Diaspora B<br />

<strong>der</strong> "ethisierte" <strong>und</strong> <strong>der</strong> "emotionalisierte" Islam - akzentuieren die Dimension

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!