Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Georges Tamer<br />
eine deutlich bestimmbare, nicht in Frage zu stellende Identität <strong>aus</strong>zuweisen,<br />
diesen Menschen offensichtlich dazu, auf die in ihrem Fall durch<strong>aus</strong> nicht<br />
eindeutig zu beantwortende Frage nach <strong>der</strong> kollektiven Selbstidentifizierung<br />
zumindest eine Antwort zu geben.<br />
Der Feststellung, daß <strong>der</strong> Besitz einer kirchlichen Identität, die nicht angezweifelt<br />
wird, die Beunruhigung durch die Frage nach <strong>der</strong> ohnehin nicht klar<br />
definierbaren ethnischen <strong>und</strong> politischen Identität durch<strong>aus</strong> mil<strong>der</strong>n kann,<br />
könnte entgegengehalten werden, daß <strong>der</strong> vorhin angedeutete mangelhafte<br />
Zustand religiösen Bewußtseins bei diesen Christen eher auf ein primitives<br />
Identitätsbewußtsein hinweist, das sich lediglich in <strong>der</strong> formalen Ausübung<br />
von rituellen Handlungen <strong>aus</strong>drückt, <strong>und</strong> daß deshalb in diesem Fall die Rede<br />
nur von einer schwachen kirchlichen Identität sein darf, welche die nicht<br />
eindeutig bestimmbare politische Identität kaum ersetzen kann. Ich bin<br />
dennoch <strong>der</strong> Ansicht, daß gerade die B sicherlich bei vielen unbewußte -<br />
Überzeugung <strong>der</strong> Rum-Orthodoxen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> in Deutschland, daß die<br />
Zugehörigkeit zur Kirchengemeinde ihnen ein gewisses Heimatgefühl zu<br />
gewähren vermag, sie zugleich dazu veranlaßt, ihre kirchliche Zugehörigkeit<br />
so unreflektiert aufzufassen, wie man gewöhnlich die Zugehörigkeit etwa zu<br />
einem Staat o<strong>der</strong> zu einer Gesellschaft auffaßt, <strong>und</strong> im gleichen Zug darauf zu<br />
verzichten, ihrer Zugehörigkeit zur Kirche in allen Dimensionen, vor allem <strong>der</strong><br />
spirituellen, durch Reflexion <strong>und</strong> Vertiefung gerecht zu werden. Um diese<br />
Ansicht mit einem Vergleich zu verdeutlichen, könnte man etwa anführen, daß<br />
es sicherlich zweifelhaft zu behaupten ist, daß je<strong>der</strong> B<strong>und</strong>esbürger die deutsche<br />
Nationalhymne <strong>aus</strong>wendig kennt o<strong>der</strong> mit dem Inhalt des Gr<strong>und</strong>gesetzes<br />
vertraut ist. Ebenso wird Vieles in einer Gesellschaft vom Individuum<br />
unreflektiert übernommen <strong>und</strong> weitergeführt, ohne daß dadurch seine nationale<br />
Zugehörigkeit beeinträchtigt wird. Nach demselben Muster kann durch<strong>aus</strong><br />
erklärt werden, wie sich die meisten Rum-Orthodoxen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> in<br />
Deutschland an <strong>der</strong> Kirchengemeinde festhalten, ohne das Bedürfnis nach<br />
einem starken kirchlichen Bewußtsein zu empfinden.<br />
Die Kirchengemeinde als neue Heimat<br />
Die Aussage im Titel dieses Beitrags stammt von einem Mitglied <strong>der</strong> rumorthodoxen<br />
Gemeinde in Berlin. Er kommt <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong>, ist hier als selbständiger<br />
Än<strong>der</strong>ungsschnei<strong>der</strong> tätig, ist verheiratet <strong>und</strong> hat zwei Töchter, die<br />
das Gymnasium besuchen. Im Laufe eines Gesprächs mit einer Libanesin, die<br />
den Wunsch äußerte, zusammen mit ihrem Mann in die Heimat zurückzukehren,<br />
fragte er:<br />
"Warum wollt Ihr überhaupt zurückkehren? Wir in dieser Gemeinde stammen<br />
<strong>aus</strong> verschiedenen Län<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Gegenden des Orients. Der eine