Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Von <strong>der</strong> Mehrheit zur Min<strong>der</strong>heit.<br />
Die Verortung <strong>der</strong> islamischen Gemeinden<br />
im deutschen Umfeld<br />
Gerdien Jonker<br />
In <strong>der</strong> deutschen Öffentlichkeit gelten Türken p<strong>aus</strong>chal als "Muslime". Diese<br />
Zuordnung ist nicht von ungefähr entstanden. Die junge türkische Republik<br />
erhob 1926 den Islam zur Selbstdefinition. Die verschiedenen Beiträge im<br />
ersten Teil dieses Bandes zeigen, welcher Preis für diese nationale Identität<br />
bezahlt werden mußte. Die klassische Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Christen (Akçam zufolge<br />
stellte sie im Osmanischen Reich die Hälfte aller Einwohner) wurde gezwungen,<br />
das Land zu verlassen, <strong>und</strong> zum Teil ermordet. Viele christliche Gemeinden<br />
verließen daraufhin die <strong>Türkei</strong>, auch in Richtung Deutschland. Die alevitische<br />
Identität war für die türkische Republik nur als "laizistisch" zu akzeptieren.<br />
Infolgedessen wurden die Aleviten - immerhin ein Drittel <strong>der</strong> heutigen<br />
türkischen Bevölkerung - als religiöse Gemeinschaft bis in die achtziger Jahre<br />
unterdrückt, <strong>und</strong> ihre religiöse Identität wurde durch eine sozialistische ersetzt<br />
(Kehl-Bodrogi 1997: Einleitung). Den Yeziden schließlich wurde in ihren<br />
türkischen Paß die Bemerkung "ohne Religionszugehörigkeit" gestempelt.<br />
Ihnen wurde damit <strong>der</strong> staatliche Schutz entzogen (Yalkut-Bred<strong>der</strong>mann in<br />
diesem Band). Sie sind heute die einzige Gruppe in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik, die<br />
aufgr<strong>und</strong> ihrer religiösen Verfolgung kollektiv das Recht auf Asyl bekam.<br />
Aber auch für viele Muslime bedeutete die Errichtung <strong>der</strong> republikanischislamischen<br />
Identität das Ende ihrer partikularen religiösen Identität. Muslime,<br />
die sich zum Beispiel mit einer <strong>der</strong> vielen Spielarten <strong>der</strong> türkischen Mystik<br />
beschäftigten, die sich an <strong>der</strong> klassischen arabischen theologischen Tradition<br />
orientierten, o<strong>der</strong> aber solche, die ihren Glauben als Ausgangspunkt für eine<br />
sozial-ethische Verantwortung begriffen, sahen sich fortan mit einer staatlich<br />
vorgeschriebenen <strong>und</strong> kontrollierten Version ihrer Religion konfrontiert. Ihnen<br />
blieb die Wahl, sich entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> republikanischen Kontrolle zu beugen o<strong>der</strong><br />
aber Wi<strong>der</strong>stand zu leisten <strong>und</strong> sich als neue religiöse Min<strong>der</strong>heit in einer<br />
Nische einzurichten.<br />
Wie Taner Akçam im vorigen Beitrag bereits dargelegt hat, wurde die<br />
republikanische Klammer erst in den achziger Jahren gelockert. Seitdem ist ein<br />
Rückzug des Islam <strong>aus</strong> dem öffentlichen Leben zu beobachten. Akçam zufolge<br />
ist heute "<strong>der</strong>" Islam nicht mehr das Merkmal <strong>der</strong> türkischen Republik, son<strong>der</strong>n<br />
im Gegenteil das Eigentum einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe geworden.<br />
Man könnte auch sagen, daß heute in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> die partikularen religiösen<br />
Identitäten zurückgekehrt sind. Das bedeutet zweifellos eine Chance für<br />
die alten wie für die neuen religiösen <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong>. Die Folge, eine soziale<br />
Grenzziehung entlang <strong>der</strong> Bruchlinie <strong>der</strong> Glaubensgemeinschaften im Kontext