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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Dursun Tan<br />

Aleviten, die universal, laizistisch <strong>und</strong> im wesentlichen supranational eingestellt<br />

sind, von demselben Staat, <strong>der</strong> den Säkularismus zu einem seiner<br />

Gr<strong>und</strong>prinzipien erklärt hat, schutzlos gelassen, sogar marginalisiert werden.<br />

Dies zeigte sich bei den Übergriffen <strong>und</strong> Massakern in Erzincan, Sivas, Çorum,<br />

MaraÕ <strong>und</strong> Malatya Ende <strong>der</strong> siebziger Jahre <strong>und</strong> jüngst in Sivas <strong>und</strong><br />

GaziosmanpaÕa/Istanbul. In den letzten Jahren zeichnet sich allerdings auch<br />

diesbezüglich eine Trendwende ab. Offensichtlich haben einige Staatseliten die<br />

Werbewirksamkeit des Alevi-BektaÕitums für den Tourismus <strong>und</strong> das Erwachen<br />

des ethnisch-religiösen Bewußtseins <strong>der</strong> Aleviten als Bollwerk gegen die<br />

f<strong>und</strong>amentalistische Gefahr entdeckt, weshalb sie sich bei den Aleviten geradezu<br />

anbie<strong>der</strong>n <strong>und</strong> sie zu vereinnahmen suchen.<br />

Die durchgängig von Diskriminierung <strong>und</strong> Unterdrückung gekennzeichnete<br />

Geschichte <strong>der</strong> Aleviten hatte zur Folge, daß sie in einer Tradition leben, "die<br />

durch Autonomiedenken, durch Verän<strong>der</strong>ungswillen <strong>und</strong> durch ein scharfes<br />

Gespür für soziale Ungerechtigkeit gekennzeichnet ist" (Kürsat-Ahlers <strong>und</strong><br />

Ahlers a.a.O.: 20.) Auch dürfte die Diskriminierungserfahrung <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> dafür<br />

sein, daß sie beson<strong>der</strong>e Fähigkeiten entwickelt haben, sich als Min<strong>der</strong>heit den<br />

gegebenen Verhältnissen relativ gut <strong>und</strong> schnell anzupassen, um ihrer Identität<br />

immer wie<strong>der</strong> von neuem eine dem Zeitgeist entsprechende Gestalt <strong>und</strong> Geltung<br />

zu verschaffen. Damit bleibt zugleich auch die Kontinuität ihrer Kulturtradition<br />

bewahrt. Positiv wirkt sich auf diese Entwicklung <strong>aus</strong>, daß sie ihre Lebens- <strong>und</strong><br />

Glaubensauffassung nicht schriftlich fixierten <strong>und</strong> kanonisierten. Der fehlende<br />

Kanon bietet die Gelegenheit, das Alevitum entsprechend den jeweiligen<br />

Zeitumständen <strong>und</strong> Bedürfnissen als Projektionsfläche für die eigenen<br />

Vorstellungen zu verwenden. Die Säkularisierung des Alevitums schien<br />

demnach vorgezeichnet zu sein.<br />

Neuere Entwicklungen in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> - das "coming out" des Alevitum<br />

Nach dem Militärputsch von 1980 haben sich die Verhältnisse allerdings<br />

gr<strong>und</strong>legend geän<strong>der</strong>t. Sowohl sunnitische Kurden als auch sunnitische Türken<br />

umwerben nun die Aleviten, um sich ihres bislang un<strong>aus</strong>geschöpften Potentials<br />

zu bemächtigen. Die sukzessive an Einfluß gewinnenden F<strong>und</strong>amentalisten<br />

versuchen die Aleviten dadurch an sich zu binden, daß sie sie als in <strong>der</strong> Geschichte<br />

vernachlässigte <strong>und</strong> deshalb vom rechten Glauben abgekommene<br />

Glaubensbrü<strong>der</strong> hinstellen. Die türkischen Nationalisten versuchen, das Alevitum<br />

mit dem "Türkentum" zu verbinden, indem sie die zentralasiatischen<br />

Elemente im Alevitum beson<strong>der</strong>s hervorheben. Die Staatseliten in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong><br />

versuchen die Aleviten als ein laizistisches Bollwerk gegen das Aufkommen des<br />

islamischen F<strong>und</strong>amentalismus zu instrumentalisieren, <strong>und</strong> die "Kurdische<br />

Arbeiterpartei" versucht, die rebellischen <strong>und</strong> aufständischen Seiten des Alevi-

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