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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Taner Akçam<br />

Jedoch wurden Religionsangelegenheiten weiterhin als Staatsaufgaben organisiert.<br />

Nur ihr Stellenwert wurde weiter verringert. Heute gibt es ein Amt für religiöse<br />

Angelegenheiten, das einem Staatsministerium untergeordnet ist <strong>und</strong> sich<br />

<strong>aus</strong>schließlich um religiöse Angelegenheiten zu kümmern hat (Gebete <strong>und</strong> religiöse<br />

Dienste).<br />

Der zweite Aspekt betrifft den Versuch, eine Gesellschaft zu konstruieren, die<br />

sich nach wissenschaftlichen Prinzipien organisierte <strong>und</strong> nach französischem<br />

Vorbild am Begriff <strong>der</strong> Vernunft orientierte. Damit wurde sie nun ihrerseits zu einer<br />

Art Religion des Staatsbürgers. Das basierte auf <strong>der</strong> Vorstellung, daß <strong>der</strong> Islam als<br />

Religion rückständig <strong>und</strong> überholt sei <strong>und</strong> als Weltanschauung von <strong>der</strong> Bildfläche<br />

verschwinden werde. Durch staatliches Eingreifen in Form eines militanten<br />

Verweltlichungsprogramms, das darauf abzielte, religiöse Traditionen, Normen <strong>und</strong><br />

kulturelle Erscheinungen <strong>aus</strong> dem Alltag zu verbannen, glaubte man den Prozeß<br />

beschleunigen zu können. Hierzu gehören bestimmte Reformen wie<br />

Kleidungsvorschriften, das Schließen von religiösen Sekten <strong>und</strong> Orden etc. Das<br />

eigentliche Ziel bestand darin, das kulturelle Gewebe <strong>der</strong> Gesellschaft zu verän<strong>der</strong>n.<br />

Es ging hierbei nicht um die staatliche Religion, son<strong>der</strong>n um den Volksislam. Die<br />

Vorstellung war, daß man nur mit unabhängigen Individuen eine mo<strong>der</strong>ne<br />

Gesellschaft schaffen könne <strong>und</strong> dies dem Begriff von Gemeinschaft, wie er im<br />

Volksislam verwurzelt sei, wi<strong>der</strong>spreche. Man muß hinzufügen, daß die offiziellen<br />

religiösen Einrichtungen des Staates ein wichtiger Bündnispartner gegen den<br />

Volksislam waren. Als eines <strong>der</strong> wichtigsten Resultate dieser Entwicklung erwies<br />

sich die Abschaffung von Sekten <strong>und</strong> Orden, da hiermit das Zwischenglied<br />

zwischen Staat <strong>und</strong> Individuum wegfiel <strong>und</strong> staatliche Unterdrückung von den<br />

Individuen nun unmittelbar empf<strong>und</strong>en wurde.<br />

In Anlehnung an den zweiten Aspekt ging es in einem dritten Schritt darum, die<br />

Religion selbst zu mo<strong>der</strong>nisieren. Seit dem Jahre 1928 wurden bestimmte Reformen<br />

vorbereitet, die z.B. das Abspielen von klassischer Musik in Moscheen mit<br />

Sitzplätzen <strong>und</strong> Gebete in türkischer Sprache vorsahen.<br />

Heutige Auseinan<strong>der</strong>setzungen um den Laizismus<br />

Bei <strong>der</strong> heutigen Debatte um den Laizismus in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> geht es nicht um den<br />

ersten Aspekt. Der Prozeß <strong>der</strong> Minimierung des Einflusses von religiösen<br />

Autoritäten auf Staatsangelegenheiten (einschließlich <strong>der</strong> Abschaffung des<br />

Khalifats) stieß praktisch auf keinen Wi<strong>der</strong>stand.<br />

Das eigentliche Problem trat an dem Punkt auf, als versucht wurde, den Islam als<br />

Identität <strong>der</strong> Bürger abzulehnen <strong>und</strong> sie einer weltlichen Lebensweise zu<br />

unterwerfen. Der Kemalismus hat mit dem Anspruch, selbst identitätsstiftend zu<br />

wirken, keinen Erfolg gehabt. We<strong>der</strong> ihm noch <strong>der</strong> Ideologie <strong>der</strong> Republik ist es

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