Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Gaby Straßburger<br />
Qualität als mögliche Ehepartner anbelangt. Dieses negative Image ist in<br />
Kreisen, in denen Wert auf sexuelle Unberührtheit gelegt wird, eher sexuell<br />
konnotiert. Man zweifelt an <strong>der</strong> Unberührtheit <strong>der</strong> in Deutschland<br />
aufgewachsenen Frauen <strong>und</strong> hält auch die in Deutschland aufgewachsenen<br />
Männer für "Schürzenjäger". Stattdessen sprechen Interviewpartner, denen<br />
Keuschheit weniger wichtig ist, davon, daß <strong>der</strong> Charakter <strong>der</strong> meisten<br />
Angehörigen <strong>der</strong> zweiten Generation verdorben sei <strong>und</strong> es sich in aller Regel um<br />
arrogante Angeber handle.<br />
Diese stereotypen Abwertungen sprechen eher für Partner <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> d.h.<br />
für jemanden ohne engeren Kontakt zur vermeintlich "ver<strong>der</strong>blichen" gesellschaftlichen<br />
Situation türkischer Migranten in Deutschland. Allerdings wurde in<br />
den Interviews auch immer wie<strong>der</strong> auf den schlechten Rechtsstatus von<br />
Heiratsmigranten hingewiesen, <strong>der</strong> Ehen mit Partnern <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> in einem<br />
negativen Licht erscheinen läßt. Denn Heiratsmigranten haben in Deutschland<br />
zunächst keinen Zugang zum Arbeitsmarkt <strong>und</strong> angesichts <strong>der</strong> angespannten<br />
Arbeitsmarktlage ist es auch fraglich, ob sie jemals einen sicheren Arbeitsplatz<br />
finden werden. Deshalb stehen Ehen mit Partnern <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> ökonomisch<br />
unter einem schlechten Stern, wie auch Kibriye bemerkt, die sich unter an<strong>der</strong>em<br />
deshalb für einen Partner <strong>der</strong> zweiten Generation entschieden hat:<br />
"[Ich habe mir] fest [vor]genommen, daß ich hier heiraten werde, daß<br />
ich hier einen Mann haben will, <strong>der</strong> hier arbeitet. Weil wenn ich in<br />
<strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> heiraten würde, die haben keine Arbeit, nichts. Kriegen ja<br />
auch keine Arbeit, zuerst. Wollt ich nicht. Hier ist es besser. Er kann<br />
deutsch <strong>und</strong> kennt sich hier <strong>aus</strong>."<br />
Dieser ökonomische Faktor wird vor allem bei Männern als Problem betrachtet,<br />
denn von Frauen, die <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> nach Deutschland kommen, wird kaum<br />
erwartet, daß sie zum Familienunterhalt beitragen. Auch Kibriye fand, daß die<br />
Heiratsmigration einer Frau eigentlich kein Problem sei:<br />
"Eine Frau ... muß ja nicht arbeiten, weil <strong>der</strong> Mann arbeitet, ne? [Sie]<br />
braucht kein Deutsch <strong>und</strong> so, weil <strong>der</strong> Mann alles erledigt. Sie kann<br />
es aber auch lernen, [das] kann sie schon trotzdem, aber für einen<br />
Mann ist es, finde ich, schwieriger, wenn er sich hier nicht <strong>aus</strong>kennt,<br />
wenn er seine Arbeit nicht erledigen kann."<br />
Angesichts dieser von Kibriye geäußerten Geschlechtsrollendefinition wird klar,<br />
daß sich viele Vorteile <strong>der</strong> Heirat mit Migranten <strong>der</strong> zweiten Generation, wie sie<br />
oben zitiert wurden, in erster Linie dann als Vorteil erweisen, wenn sie auf einen<br />
Mann bezogen werden, während viele <strong>der</strong> Vorteile, die mit Partnern <strong>aus</strong> dem<br />
Herkunftsland verb<strong>und</strong>en werden, sich im wesentlichen auf Frauen beziehen.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> scheint es einleuchtend, daß die Zahl <strong>der</strong> Heiratsmigrantinnen<br />
um einiges höher ist als die <strong>der</strong> Heiratsmigranten. Die Heiratsmigration von<br />
Frauen entspricht außerdem <strong>der</strong> in <strong>der</strong> türkischen Gesellschaft vorherrschenden