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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Taner Akçam<br />

wurde <strong>der</strong> Zerfall durch die Religion aufgehalten. Heute wie<strong>der</strong>um bestimmt das<br />

Sich-Entfernen von <strong>der</strong> Religion in negativer Weise diese Grenzziehung. Der sich<br />

auf diese Weise fortsetzende Prozeß führt zu verschiedenen Ergebnissen. Eines ist,<br />

daß die Ethnisierung <strong>der</strong> Gesellschaft in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> tritt <strong>und</strong> in Verbindung<br />

hiermit eine "Homogenisierung" einsetzen könnte. Jede gesellschaftliche Untergruppe<br />

<strong>der</strong> in ihre Bestandteile zerfallenden Gesellschaft wird das Hauptproblem in<br />

<strong>der</strong> Existenz <strong>der</strong> ihr nicht gleichenden Teile <strong>der</strong> Gesellschaft suchen, <strong>und</strong> jede<br />

dieser Gruppen wird politische Lösungen verfechten, welche sich <strong>aus</strong> den<br />

bestimmenden Eigenschaften ihrer eigenen kollektiven Identität ergeben. In dieser<br />

Hinsicht gibt es eine große Ähnlichkeit mit dem ersten Nationalisierungsprozeß<br />

bzw. wie<strong>der</strong>holt sich dieser. Denn auch die erste Nationalisierungswelle hat als<br />

Homogenisierung stattgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>der</strong> Vielfalt auf <strong>der</strong> Achse "Moslems - Nicht-<br />

Moslems" ein Ende bereitet.<br />

Wenn nun heute Türken, Kurden, Aleviten, Sunniten <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e ihre Sub-identitäten<br />

fest umklammernden Gruppen zu Bedeutungskonstrukteuren innerhalb <strong>der</strong><br />

politischen Organisation werden, könnte es in Anatolien zu einer zweiten<br />

gegenseitigen "Säuberung" kommen. Am Ende dieses Prozesses steht die<br />

Alternative, entwe<strong>der</strong> politisch zu zerfallen o<strong>der</strong> sich mit einer <strong>Türkei</strong> zu brüsten,<br />

die zu 90 Prozent <strong>aus</strong> Türken besteht. Ich denke, daß das <strong>Kern</strong>problem bei<strong>der</strong><br />

Nationalisierungswellen dasselbe ist, nämlich die Frage, ob eine diese Subgruppen<br />

zusammenhaltende gemeinsame Identität, ein verbindendes Gemeinschaftsgefühl<br />

unabhängig von ihrem ethnischen, religiösen <strong>und</strong> kulturellen Kontext gef<strong>und</strong>en<br />

werden kann. Die in <strong>der</strong> Vergangenheit auf religiöser Basis erfolgte "Säuberung"<br />

<strong>und</strong> "Homogenisierung" war, als sich <strong>der</strong> Mißerfolg <strong>der</strong> osmanistischen Politik<br />

her<strong>aus</strong>gestellt hatte, als letzter Ausweg geblieben; denn <strong>der</strong> Osmanismus, <strong>der</strong><br />

gemeinhin als kosmopolitisches Gedankengut gilt, war als türkisch-moslemische<br />

Herrschaftsideologie verstanden <strong>und</strong> als solche umgesetzt worden. Auch heute<br />

stellen die als Modelle einer Überidentität vertretenen Gedankengebilde nichts<br />

an<strong>der</strong>es als sunnitisch-türkische Herrschaftsideologien dar. Es ist somit in beiden<br />

Perioden gleichermaßen zu beobachten, daß die jeweils als Überidentität<br />

vorgesehenen Ideologien weit entfernt davon waren bzw. sind, die<br />

Gleichberechtigung unter den Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten. Man kann<br />

allerdings sagen, daß wir heute, verglichen mit <strong>der</strong> Vergangenheit, in gewisser<br />

Weise besser dran sind. Zumindest sind die Möglichkeiten, die das internationale<br />

<strong>und</strong> nationale historische Erbe <strong>und</strong> <strong>der</strong> Fortschritt uns bieten, gewachsen, so daß<br />

auch eine zivile, demokratische Gesellschaft, die die Existenz aller Subidentitäten<br />

institutionell garantiert, als eine realisierbare Alternative fortbesteht.<br />

Was bedeutet das für die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland? Erstens wird es eine<br />

weitere Differenzierung unter den in Deutschland lebenden Menschen <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Türkei</strong> geben. Es werden sich weitere Gruppierungen her<strong>aus</strong>bilden, die miteinan<strong>der</strong><br />

nicht mehr in Verbindung stehen. Zweitens wird sich her<strong>aus</strong>stellen, daß <strong>der</strong><br />

türkisch-sunnitische Islam ein an<strong>der</strong>er ist als <strong>der</strong> Islam, den wir <strong>aus</strong> Afrika <strong>und</strong> dem

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