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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Individualisierung durch den Islam<br />

Mann, sich auf verschiedene Handlungsprinzipien einzulassen. So erlaubt ihm<br />

die religiöse Identifikation, als selbstbewußte Person in einer Gesellschaft zu<br />

handeln, in <strong>der</strong> er als Türke <strong>und</strong> Auslän<strong>der</strong> gesehen wird. Ohne Islam meint er,<br />

"ziellos, wie ein Schrotthaufen" sein zu müssen. "Mit <strong>der</strong> Religion" fühlt sich<br />

Özal, dem man wegen mangeln<strong>der</strong> Deutschkenntnisse in <strong>der</strong> Berufsschule<br />

geraten hat, die Lehre abzubrechen, in <strong>der</strong> Lage, sein eigenes Fuhrunternehmen<br />

zu gründen <strong>und</strong> in Abendkursen die Ausbildung eines Ver-sicherungskaufmanns<br />

zu machen. Das Beispiel dieses jungen Mannes zeigt, daß muslimische<br />

Religiosität zu Grenzziehungen führt, die es ermöglichen, "den an<strong>der</strong>en" <strong>und</strong><br />

damit sich selbst zu identifizieren. Aus diesem Prozeß schöpft das Individuum<br />

gleichzeitig die Fähigkeit, Grenzen zu überwinden <strong>und</strong> sich als ein Selbst<br />

zwischen den Grenzen zu konstituieren.<br />

Nichts verbietet Yilmaz, das Geld zu verdienen, das er für ein zufriedenstellendes<br />

Konsumleben zu brauchen meint. Gesetze tragen in seinen Augen<br />

kaum dazu bei, daß Gerechtigkeit <strong>und</strong> Gleichberechtigung in <strong>der</strong> Verteilung<br />

erstrebenswerter Güter herrscht. Warum soll er keinen Porsche besitzen, mit dem<br />

er über die Autobahn r<strong>aus</strong>chen <strong>und</strong> Frauen beeindrucken kann? Warum muß er<br />

neben seiner Lehre durch "Jobs" sein Einkommen aufbessern, während an<strong>der</strong>e,<br />

ohne zu arbeiten, sich mehr als er leisten können? Angesichts seiner Erfahrungen<br />

in einem Milieu, in dem die Abgrenzung zur Kleinkriminalität eine alltägliche<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung darstellt, meint Yilmaz:<br />

"Ich könnte alles machen, um Millionär zu werden. Ja wirklich, ohne<br />

Scheiß, ich könnte Zuhälter sein. Aber das mache ich nicht, alles<br />

würde ich machen, nur das nicht. Da hab ich zu viel Angst vor dem<br />

da oben."<br />

Der "da oben" - Allah - setzt <strong>und</strong> begründet Barrieren, die Yilmaz in seinem<br />

Leben verinnerlicht. In einer Welt, in <strong>der</strong> durch Geld alles offen zu stehen<br />

scheint, wird muslimische Religiosität zu einem Mittel, sich mit sozialen <strong>und</strong><br />

ethischen Grenzen <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>zusetzen. Yilmaz arbeitet hart, um seinen Traum<br />

von einem eigenen Geschäft, das ihn zum Millionär macht, realisieren zu<br />

können. Der Islam begründet in diesem Falle ein Wirtschaftsverhalten, das sich<br />

nicht an <strong>der</strong> Großfamilie <strong>und</strong> ihrem Reichtum in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> orientiert, wie es für<br />

die Generation seiner Eltern <strong>aus</strong>schlaggebend war, son<strong>der</strong>n an individuellem<br />

materiellen Aufstieg <strong>und</strong> Genuß in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik. Wirtschaftliches<br />

Handeln bzw. ökonomischer Erfolg, die durch eine Bezugnahme auf "Allah"<br />

o<strong>der</strong> auf <strong>aus</strong>gewählte Normen <strong>der</strong> islamischen Tradition subjektiv eine ethische<br />

Gr<strong>und</strong>lage erhalten, veranlassen Yilmaz, seine Probleme als "Auslän<strong>der</strong>" o<strong>der</strong><br />

als "Türke" in den Hintergr<strong>und</strong> zu drängen 4 . Als Konsument <strong>und</strong> ökonomischer<br />

Akteur wird er ein Bürger <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft.<br />

Der Islam als Ethik im wirtschaftlichen o<strong>der</strong> sozialen Handeln sowie als<br />

Mittel zur Konstruktion einer Gemeinschaft in <strong>der</strong> deutschen Gesellschaft macht<br />

<strong>aus</strong> "den türkischen Auslän<strong>der</strong>n" Akteure <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik. Die jungen<br />

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