Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
118<br />
Taner Akçam<br />
sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber den Beherrschten verantwortlich. Sie<br />
sind also nicht mit den Theokraten westlicher Prägung vergleichbar.<br />
Ich muß aber hinzufügen, daß <strong>der</strong> behauptete Unterschied zwischen dem Islam,<br />
<strong>der</strong> von dem Verhältnis zwischen Religion <strong>und</strong> Herrschaft als Einheit <strong>aus</strong>gehe, <strong>und</strong><br />
dem Christentum, das dieses Verhältnis als dichotom verstehe, nicht haltbar ist. So<br />
finden sich z.B. in <strong>der</strong> Bibel auch an<strong>der</strong>e Aussagen, die in die Richtung gehen, daß<br />
ein Christ sich nicht von zwei Herrschern regieren lassen soll. Zudem ist <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
Geschichte <strong>der</strong> Kirche bekannt, daß sie immer wie<strong>der</strong> versucht hat, ihren<br />
Machtanspruch weltweit durchzusetzen.<br />
Unhabhängig davon, wie weit dieser Unterschied theologisch zu begründen ist,<br />
ist er damit zu erklären, daß das Christentum in <strong>der</strong> Phase seiner Entstehung<br />
gezwungen war, sich außerhalb des Staates zu organisieren, während <strong>der</strong> Islam von<br />
Beginn an an <strong>der</strong> Macht war <strong>und</strong> sich <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Herrschaftsposition her<strong>aus</strong><br />
organisieren konnte. Im Laufe <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung ist zu beobachten,<br />
daß im Gegensatz zum Westen innerhalb <strong>der</strong> islamischen Ge-sellschaften die<br />
politische <strong>und</strong> die religiöse Macht in einer Hand vereint waren <strong>und</strong> sich die<br />
religiöse Autorität niemals als eine Alternative zur politischen angeboten hat. Somit<br />
konnte es in <strong>der</strong> islamischen Geschichte auch niemals zu Auseinan<strong>der</strong>setzungen um<br />
die Herrschaft zwischen den politischen Herrschern <strong>und</strong> Vertretern <strong>der</strong> Religion<br />
kommen.<br />
Die Religion war immer ein Teil des Staatsapparates. Allerdings läßt sich<br />
beobachten, daß das Verhältnis zwischen Herrschern <strong>und</strong> <strong>der</strong> Religion im Laufe <strong>der</strong><br />
Geschichte Verän<strong>der</strong>ungen unterworfen war. Hierbei wird von dem Unterschied<br />
zwischen "an die Religion geb<strong>und</strong>enem Staat" <strong>und</strong> "an den Staat geb<strong>und</strong>ener<br />
Religion" gesprochen.<br />
In <strong>der</strong> Anfangsphase des Islam waren die Khalifen die alleinigen Herrscher des<br />
Staates <strong>und</strong> repräsentierten damit den "an die Religion geb<strong>und</strong>enen Staat". Nach<br />
den vier Khalifen begann die Herrschaft <strong>der</strong> Omaijaden-Dynastie. In dieser Phase<br />
bekamen die politischen Herrscher langsam die Oberhand im Staat, so daß man von<br />
einer "an den Staat geb<strong>und</strong>enen Religion" reden kann. Das Khalifat ging vom Vater<br />
auf den Sohn über <strong>und</strong> bekam nun vorrangig eine politische Dimension als<br />
Herrschaftsform. In <strong>der</strong> Endperiode <strong>der</strong> abbasidischen Herrschaft verlor <strong>der</strong> Khalif<br />
seine weltliche Macht, mußte sich den Regierenden unterordnen <strong>und</strong> hatte nur noch<br />
die Funktion eines "Beamten".<br />
Bei den Osmanen setzte sich diese Tradition fort. Die religiöse Autorität lag in<br />
den Händen <strong>der</strong> staatlichen Institution des Scheich ül-Islam, die direkt dem<br />
Großwesir unterstand. Die Hauptaufgabe dieser Institution war es, die religiösen<br />
Gr<strong>und</strong>lagen für die Legitimierung <strong>der</strong> Regierung zu gewährleisten <strong>und</strong> dafür Sorge<br />
zu tragen, daß die vom Sultan erlassenen Gesetze <strong>und</strong> Dekrete mit dem islamischen<br />
Recht vereinbar waren. Die Aufgaben des Scheich ül-Islam lassen sich in drei<br />
Bereiche unterteilen:<br />
-Beratung in religiösen <strong>und</strong> rechtlichen Angelegenheiten,