Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Individualisierung <strong>und</strong> Säkularisierung<br />
islamischer Religiosität: zwei Türkinnen in<br />
Deutschland<br />
Gritt M. Klinkhammer<br />
"... <strong>und</strong> ich war irgendwie auch nicht zufrieden mit meinem Leben" ist ein<br />
Zitat <strong>aus</strong> einem Interview mit Mihriban, einer <strong>der</strong> beiden Türkinnen, um <strong>der</strong>en<br />
erzählte Selbstbil<strong>der</strong> es hier gehen wird. Mit diesem Satz leitete Mihriban die<br />
Erzählung <strong>der</strong> Wende in ihrem Leben ein, die Hinwendung zur Religion, zu<br />
"ihrer" Religion, dem sunnitischen Islam.<br />
Sie nimmt damit eine für die Mo<strong>der</strong>ne typische Verortung von Religion vor:<br />
Religion wird als persönliche Religiosität verstanden <strong>und</strong> somit pl<strong>aus</strong>ibilisiert<br />
durch eine biographische, den persönlichen Lebensweg betreffende Problemlage.<br />
Nun sind die Problemlagen von jungen Menschen <strong>und</strong> insbeson<strong>der</strong>e von<br />
jungen Frauen in Deutschland gerade aufgr<strong>und</strong> von Pluralisierung <strong>und</strong> Individualisierung<br />
unterschiedlich. Ganz allgemein kann man sagen, daß in <strong>der</strong><br />
Phase <strong>der</strong> Adoleszenz dem einzelnen die Aufgabe obliegt, zugleich integrativ<br />
<strong>und</strong> innovativ mit Erwartungen <strong>und</strong> Anfor<strong>der</strong>ungen von Gesellschaft<br />
umzugehen. Religion stellt dabei nur einen Sinnhorizont unter vielen dar, die<br />
zur Orientierung herangezogen werden können. Das heißt: Religion hat gesamtgesellschaftlich<br />
nicht mehr die Bedeutung einer selbstverständlichen <strong>und</strong><br />
integrativen Größe; Wahl <strong>und</strong> Funktion von Religion werden als kontingent<br />
erfahren; Religion ist <strong>und</strong> soll Privatangelegenheit sein. Dies ist Folge des<br />
westlichen Säkularisierungsprozesses einerseits <strong>und</strong> <strong>der</strong> Pluralisierung <strong>der</strong><br />
religiösen Landschaft in Deutschland an<strong>der</strong>erseits.<br />
Daß mit Säkularisierung nicht zwangsläufig die Aufhebung von Religion<br />
einhergeht, son<strong>der</strong>n vielmehr die Verän<strong>der</strong>ung ihrer strukturellen Verfaßtheit,<br />
die vor allem als zunehmende Rationalisierung <strong>und</strong> Privatisierung beschrieben<br />
wird, darin ist man im gegenwärtigen religionssoziologischen Diskurs weitgehend<br />
einig (Luckmann 1991; Gabriel 1996). Darum w<strong>und</strong>ert es auch die empirische<br />
Religionsforschung heute nicht mehr, wenn Religion für den einzelnen<br />
(wie<strong>der</strong>) Thema ist. Im Gegenteil entstehen vor dem Hintergr<strong>und</strong> <strong>der</strong> empirischen<br />
Erfahrung, daß Religion in mo<strong>der</strong>nen Industriegesellschaften nicht<br />
generell vom Untergang bedroht zu sein scheint, Hypothesen zur "Religionsproduktivität"<br />
von mo<strong>der</strong>nen Gesellschaften (vgl. Pollack 1995). So konstatiert<br />
zum Beispiel Danièle Hervieu-Léger (1990), daß gegenwärtig gerade privatisierte<br />
<strong>und</strong> hochindividualisierte Formen <strong>der</strong> Religiosität einen Aufschwung<br />
verzeichnen, also solche Formen, die für die Mo<strong>der</strong>ne selbst spezifisch seien.<br />
Sie vertritt die These, daß die Mo<strong>der</strong>ne mit ihren unendlichen Fortschritt-