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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Neue Islamische Weiblichkeit als Alternative<br />

habe, denn die "sind schön, nett, aber an<strong>der</strong>s von <strong>der</strong> Tradition her, die sind ein<br />

bißchen kälter als die Türken <strong>und</strong> es ist auch schwer mit denen, die sagen dir<br />

immer, wenn du was erklärst, ja, ja, ich hab's verstanden <strong>und</strong> nach zwei Minuten<br />

kommen sie: wie war das noch mal?" Auf die Frage, worum es sich dabei<br />

handelt, führt sie an, daß es "kulturelle Sachen" seien, wie zum Beispiel <strong>der</strong><br />

Unterschied zwischen Islam <strong>und</strong> Tradition, zwischen Kultur <strong>und</strong> "keine Kultur",<br />

wobei sie als Beispiel für die Unkultur anführt, "daß <strong>der</strong> Mann vorne läuft <strong>und</strong><br />

die Frau hinterher mit Einkaufst<strong>aus</strong>chen <strong>und</strong> Kin<strong>der</strong>n läuft. Das verstehen die<br />

nicht. Obwohl ich denen sag, daß das mit dem Islam nichts zu tun hat, mit den<br />

türkischen Traditionen nichts zu tun hat. Daß es nur allein von den Männern<br />

abhängt, daß sie vielleicht ihre Frauen nicht schön finden o<strong>der</strong> weil sie sich<br />

schämen, mit ihr auf <strong>der</strong> Straße zu laufen. Und was weiß ich noch. Das kapieren<br />

die überhaupt nicht". Ayla greift hier eine <strong>der</strong> verbreitetsten Stereotypen auf zur<br />

Illustrierung <strong>der</strong> ungleichen Geschlechterbeziehung, die als Zeichen für<br />

"Unzivilisiertheit", als Rechtfertigung für eine niedrige soziale Rangzuordnung<br />

herhalten <strong>und</strong> im "einschließenden Denken" (Dumont 1991) stets präsent sind,<br />

auch wenn sie nicht thematisiert werden. Aufschlußreich ist die Schuldfrage, die<br />

hier anklingt. Es ist <strong>der</strong> Mann, <strong>der</strong> das Gefälle zwischen den Geschlechtern<br />

herstellen kann. Aber es liegt an <strong>der</strong> Frau, daß dieses negative Bild Bestand hat.<br />

Es ist, wie Ayla betont, <strong>der</strong> weibliche Körper, <strong>der</strong>, unzivilisiert in seiner<br />

mangelnden Ästhetisierung <strong>und</strong> Disziplinierung, geschlechtliche <strong>und</strong> soziale<br />

Ungleichheit geradezu provoziert. Ayla greift hier zu einer beliebten Erzähl-<br />

bzw. Evaluierungsstrategie: Dem Aussparen <strong>der</strong> Mutter stehen allgemeine<br />

unpersönliche negative Ausführungen über "die türkische Frau" gegenüber, die<br />

die starke Prägung des eigenen Blicks <strong>und</strong> Urteils von Fremddefinition <strong>und</strong><br />

Essentialisierung zeigen.<br />

Offensichtlich besteht eine Verdopplung <strong>der</strong> Mutter, einmal eher unreflektiert<br />

als idiosynkratischer Mensch im täglichen Umgang <strong>und</strong> einmal essentialistisch<br />

überlagert als Repräsentationsobjekt, das Abgrenzungs- o<strong>der</strong> Aufwertungsstrategien<br />

erfor<strong>der</strong>t. Das tritt deutlich her<strong>aus</strong> bei Gül, die mit Ende zwanzig eine<br />

<strong>der</strong> ältesten im Untersuchungssample ist. Seit Anfang zwanzig ist sie Muslima.<br />

Sie hat selber Kin<strong>der</strong>, was den Blick auf die Mutter noch einmal revidiert.<br />

Zudem hat sie eine abgebrochene sozialpädagogische Ausbildung <strong>und</strong> sich<br />

während ihrer Schulzeit, bevor sie Muslima wurde, im linksliberalen Spektrum<br />

sozialpolitisch engagiert, so daß sie die entsprechend geschulte Perspektive <strong>und</strong><br />

Deutung aufweist:<br />

"... Und ich hab auch gemerkt z.B., zu <strong>der</strong> Zeit, als ich nur Frauen kannte wie<br />

meine Mutter, da hab ich immer das alles abgelehnt. Ich wollte mit nichts<br />

Türkischem, nichts Islamischem in Berührung gebracht werden... Ich denke<br />

mir, ich glaube, ich wollte nicht in <strong>der</strong> Situation sein, in <strong>der</strong> meine Mutter<br />

war. Die hatte nichts zu sagen. Okay, in <strong>der</strong> Familie war meine Mutter sehr<br />

dominant. Ja. Daß sie sogar dominanter war als mein Vater. Wenn Besuch<br />

da war, sie hat immer erzählt <strong>und</strong> sie hat gesagt, sie hat bestimmt, ja. Und *<br />

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