Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Syrisch-Orthodoxe Christen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong><br />
Abgrenzungen zur kurdischen Umwelt verstärkt. Die Kurden, ihrerseits eingeb<strong>und</strong>en in<br />
Unabhängigkeitskämpfe mit <strong>der</strong> osmanischen Zentralmacht, wurden schließlich auch<br />
mit Unabhängigkeitsversprechungen für anti-armenische Feldzüge gewonnen. Die<br />
gleichfalls nach Unabhängigkeit strebenden Armenier waren vom Sultan zu<br />
Staatsfeinden erklärt worden. In den 1890er Jahren mündete diese Politik in mehrere<br />
Christenmassaker durch Kurden (vgl. Björkl<strong>und</strong> 1981: 21-23; Yonan 1989).<br />
10. Worte eines jungen Suryoyo in Berlin.<br />
11. Im Aramäischen steht das gleiche Wort Qroyo für Lesen <strong>und</strong> Lernen/Studieren.<br />
12. Traditionell war dieses Wissen mehrheitlich männlichen Schülern vorbehalten. In den<br />
Klöstern ist das bis heute so. In manchen Dörfern im Tur Abdin, aber vor allem in<br />
Europa besuchen heute allerdings auch einige Mädchen die Religionsschulen.<br />
13. Ebenso häufig sind die Anrufungen des Namens Gottes in unterschiedlichen Kontexten<br />
des Alltags. Diese sind allerdings im Tur Abdin häufiger zu hören als etwa in Berlin.<br />
14. Auch Sayfo ist im Übrigen eine historische Erzählung des marginalisierten <strong>Rand</strong>es, da<br />
sie kaum bekannt ist <strong>und</strong> über die Oral-Traditionen <strong>der</strong> Suryoye hin<strong>aus</strong> wenig Eingang<br />
in die Geschichtsschreibungen <strong>der</strong> Region gef<strong>und</strong>en hat. Die offizielle <strong>Türkei</strong> leugnet<br />
ihre historische Verantwortung für das Verbrechen bis heute.<br />
15. Ich schreibe hier "ethnisch", obwohl ich exakter wahrscheinlich "religiös" sagen<br />
müsste. In den Parametern des Beschriebenen ist zwar "religiös" gemeint, aber das<br />
<strong>Religiöse</strong> ist bei vielen Suryoye nicht ein abtrennbares o<strong>der</strong> gar konträres Element des<br />
Säkularen, son<strong>der</strong>n eine Sinn-Dimension, die alle Bereiche des Alltags durchzieht. Um<br />
nicht das europäisch-westliche Verständnis von Religion zu implizieren, verwende ich<br />
hier das mehr umfassende "ethnisch". Im syrisch-christlichen Selbstverständnis des Tur<br />
Abdin ist es vielfach so, daß ethnisch An<strong>der</strong>e zuerst nach ihrer Religionszugehörigkeit<br />
befragt werden, da sie als markantestes Kriterium von Differenz gilt.<br />
16. Dieses Dorf ist angelegt wie eine Festung, mit Häusern die dicht zusammengebaut sind<br />
<strong>und</strong> einer umschließenden Mauer. Diese Architektur, wie viele H<strong>aus</strong>- <strong>und</strong><br />
Kirchenarchitekturen im Tur Abdin, zeigt sehr anschaulich die Verräumlichung einer<br />
Verteidigungssituation.<br />
17. In <strong>der</strong> zitierten Geschichte ist es signifikanterweise auch <strong>der</strong> Tod des Mannes, <strong>der</strong> das<br />
entscheidende Zeichen setzt. Die Bedeutung des Todes als Auftakt zu einem neuen Leben<br />
ist in <strong>der</strong> syrisch orthodoxen Religiosität zentral. Ich kann das hier nur andeuten.<br />
18. Das Motiv des irdischen o<strong>der</strong> körperlichen Leidens als Kommunikation mit <strong>und</strong> Erfahrung<br />
von Gott ist eine bekannte religiöse Praxis in <strong>der</strong> Syrisch Orthodoxen Geschichte.<br />
Asketen, Mönche <strong>und</strong> Eremiten <strong>der</strong> Spätantike demonstrierten, daß nur über selbstkasteiende<br />
Praktiken ein Nahverhältnis zu Gott möglich ist. Sie verstanden die<br />
Imitation des irdischen Martyriums Christi als paradigmatische religiöse Erfahrung<br />
(vgl. u.a. Brown 1989; Brock/Ashbrook Harvey 1987). Die syrische Kirche bezieht<br />
sich auch auf sich selbst als Märtyrerkirche.<br />
19. Ich möchte hier noch einmal auf die Assyrer-Bewegung hinweisen. Die AssyrerInnen<br />
haben ihre Geschichtserzählung ethnisiert <strong>und</strong> bis zu einem gewissen Grad säkularisiert.<br />
Sie führen die Ursprünge des Volkes auf die altmesopotamischen Assyrerreiche<br />
zurück <strong>und</strong> fassen Religion als einen Aspekt, nicht als allumfassende Identitätsbestimmung<br />
auf. Diese Geschichtsdeutung ist umstritten <strong>und</strong> wird von <strong>der</strong> syrisch-orthodoxen<br />
Kirche entschieden zurückgewiesen. Die syrisch-orhtodoxe Kirche ihrerseits favorisiert<br />
seit einigen Jahren die gleichfalls ethnisierende Volksbezeichnung "Aramäer".<br />
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