Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Gritt M. Klinkhammer<br />
sutopien einerseits <strong>und</strong> den höchst begrenzten Fortschrittsverwirklichungen<br />
an<strong>der</strong>erseits eine Lücke produziere, die immer wie<strong>der</strong> durch das Aufgreifen<br />
von Religion geschlossen würde. Diese Überlegungen werden durch ihre<br />
Beobachtung gestützt, daß speziell die gebildeten <strong>und</strong> damit wissenschaftlich<br />
"aufgeklärten" Schichten Träger <strong>der</strong> individualisierten Formen von Religion<br />
sind.<br />
In diese gesellschaftliche Situation wachsen auch die Musliminnen <strong>der</strong><br />
zweiten Generation in Deutschland hinein. Wie sich schon an <strong>der</strong> zunehmenden<br />
Heterogenisierung <strong>der</strong> demographischen Struktur <strong>der</strong> zweiten Generation<br />
zeigt (Sen 1996), geht die gesellschaftsstrukturelle Ausgangslage von<br />
Individualisierung <strong>und</strong> Säkularisierung nicht folgenlos an den Musliminnen<br />
vorüber. An<strong>der</strong>s allerdings als die "neue Religiosität <strong>und</strong> Spiritualität"<br />
asiatischer Herkunft, die mit den individualisierten <strong>und</strong> säkularisierten<br />
Gesellschaftsstrukturen weitgehend kompatibel zu sein scheint, wird die neue<br />
religiöse Orientierung <strong>und</strong> Besinnung <strong>der</strong> Muslime vor allem als Gegen- <strong>und</strong><br />
Abwehrbewegung zu dieser Gesellschaftslage wahrgenommen. Dies mag<br />
insbeson<strong>der</strong>e für den Teil <strong>der</strong> muslimischen Migranten, die sich militant geben,<br />
vor allem auf ideologischer Ebene zutreffen (Kepel 1991, Heitmeyer 1997). Im<br />
folgenden möchte ich aber solchen Gestalten von islamischer Religiosität<br />
nachgehen, die von einem Teil <strong>der</strong> Muslime in Deutschland getragen wird, <strong>der</strong><br />
in den bisherigen Diskussionen um die Entwicklung des Islam in Deutschland<br />
meist eher unerwähnt bleibt. Dazu gehören zum einen solche Muslime, die<br />
nicht eindeutig zu den "Mo<strong>der</strong>nisierungsverlierern" (Heitmeyer 1997: 147-182)<br />
gehören, da ihr Bildungsweg ein erfolgreicher ist. Zum an<strong>der</strong>en bleiben die<br />
Muslime, die sich keinem Dachverband o<strong>der</strong> keinem Moscheverein zuordnen,<br />
was im übrigen für die Mehrheit <strong>der</strong> Muslime in Deutschland zutrifft,<br />
unbemerkt, da sie keine Interessenvertretung haben.<br />
Ich möchte nun im folgenden anhand von zwei Fallbeispielen aufzeigen, wie<br />
sich auf ganz unterschiedliche Weise religiöse Individualisierung <strong>und</strong><br />
Säkularisierung in die Innenperspektive <strong>der</strong> Akteurinnen strukturell<br />
einschreibt, bei gleichzeitiger Intensivierung ihres Bezuges zur Religion des<br />
Islam.<br />
Falldarstellungen<br />
Die Fälle sind auf <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lage von biographisch orientierten <strong>und</strong> halbstruktuierten<br />
Interviews <strong>und</strong> einiger Feldbeobachtungen mit Teilnahme ermittelt<br />
worden. Die Interviews sind für eine laufende qualitative Untersuchung<br />
zur Religiosität sunnitisch geprägter Türkinnen <strong>der</strong> zweiten Generation in<br />
Deutschland durchgeführt worden. Alle Interviews sind mit Frauen geführt<br />
worden, die in Deutschland geboren, aufgewachsen <strong>und</strong> zur Schule gegangen