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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Der türkische Nationalisierungsprozeß <strong>und</strong> <strong>der</strong> Laizismus<br />

gegen den Laizismus- bzw. Säkularismusbegriff eingehen, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> islamischen<br />

Welt sehr verbreitet ist. Die Frage ist, inwieweit <strong>der</strong> Laizismusbegriff in <strong>der</strong> Lage<br />

ist, das islamische Verständnis von Gesellschaft <strong>und</strong> Staat <strong>und</strong> die Entwicklungen<br />

in diesen Län<strong>der</strong>n zu erklären. Die eigentliche Kritik am Laizismusbegriff ist die,<br />

daß das durch ihn bezeichnete Verhältnis zwischen Kirche <strong>und</strong> Staat vom<br />

angenommenen dichotomen Charakter <strong>der</strong> christlichen Religion geprägt sei, daß<br />

diese Trennung Bestandteil <strong>der</strong> christlichen Religion sei. Für diese These wird ein<br />

Wort <strong>aus</strong> dem Matthäusevangelium (Matthäus 21, 22) herangezogen: "So gebt dem<br />

Kaiser, was des Kaisers ist, <strong>und</strong> Gott, was Gottes ist", was die Trennung des Weltlichen<br />

von <strong>der</strong> Religion zum Ausdruck bringen soll.<br />

Der Islam jedoch folge dem Dogma <strong>der</strong> Einheit (tevhid), <strong>und</strong> es geben deshalb<br />

keinen Platz für die Trennung von Religion <strong>und</strong> Staat. Dem Dogma <strong>der</strong> Einheit<br />

zufolge nährt sich, ohne zwischen Lebendem <strong>und</strong> Leblosem, Individuellem <strong>und</strong><br />

Gesellschaftlichem sowie <strong>Religiöse</strong>m <strong>und</strong> Politischem zu trennen, jede Art <strong>der</strong><br />

rechtmäßigen Autorität vom Willen Gottes, <strong>der</strong> einzigartig ist. Der Islam habe, so<br />

wird argumentiert, eine Reihe von Gr<strong>und</strong>sätzen hervorgebracht, die das<br />

gesellschaftliche Zusammenleben auf allen Ebenen regele. We<strong>der</strong> im Privatleben<br />

des einzelnen noch im gesellschaftlichen Zusammenleben gebe es einen Bereich,<br />

<strong>der</strong> nicht von <strong>der</strong> Religion geregelt werde. Im Koran heiße es, wir hätten im Buch<br />

nichts übergangen. Demzufolge falle auch <strong>der</strong> Staat, wie das gesamte gesellschaftliche<br />

Leben, in den Aufgabenbereich <strong>der</strong> alles organisierenden Religion.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Einwand ist folgen<strong>der</strong>: Der Fall, daß <strong>der</strong> Staat seine Legitimation<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Religion bezieht, trete zwar ebenfalls in den westlichen Theokratien auf, es<br />

existiere jedoch ein wesentlicher Unterschied, <strong>der</strong> darin bestehe, daß <strong>der</strong> Islam<br />

keine Klasse o<strong>der</strong> Kaste <strong>der</strong> Geistlichkeit akzeptiere. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist dem<br />

Islam im Gegensatz zum Christentum die Existenz einer religiösen Institution<br />

fremd, welche nur Gott gegenüber verantwortlich ist <strong>und</strong> die göttliche Autorität auf<br />

Erden vertritt. Der im Islam die göttliche Autorität repräsentierende Kalif ist kein<br />

unfehlbares <strong>und</strong> heiliges Wesen. Der Islam kennt kein heiliges <strong>und</strong> göttliches<br />

Wesen außer Gott selbst. Wenn wir die (westliche) Theokratie so verstehen, daß die<br />

Herrschenden Gottes Platz auf Erden einnehmen <strong>und</strong> die "göttlichen Vertreter"<br />

sind, so ist festzuhalten, daß ein solches Verständnis dem Islam vollkommen fremd<br />

ist.<br />

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß <strong>der</strong> Islam in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> die staatlichen<br />

<strong>und</strong> religiösen Angelegenheiten gleichermaßen organisiert. Er akzeptiert somit<br />

nicht die Existenz von Weltlichem <strong>und</strong> Geistlichem als zwei voneinan<strong>der</strong><br />

getrennten Bereichen. Er legitimiert auch nicht die Existenz einer religiösen<br />

Institution, die außerhalb des Staates die religiösen Aufgaben erfüllt. Dem<br />

islamischen Verständnis zufolge sind die Herrschenden unter Anwendung <strong>und</strong><br />

Befolgung <strong>der</strong> Gebote Gottes <strong>und</strong> nach dem Vorbild des Propheten mit <strong>der</strong> Leitung<br />

<strong>der</strong> Staatsführung beauftragt. Sie besitzen keine göttlichen Eigenschaften <strong>und</strong> sind<br />

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