Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Aleviten in Deutschland<br />
(yol gösterici) <strong>und</strong> Wissensvermittler." (Scheffler, zitiert nach Kehl-<br />
Bodrogi 1993: 274)<br />
Damit geht die sukzessive Verschiebung <strong>der</strong> oralen Tradition hin zur schriftlichen<br />
Fixierung <strong>der</strong> Lehre einher. Diese tangiert die Machtbalancen zwischen den<br />
"Erzählk<strong>und</strong>igen" <strong>und</strong> "Schriftk<strong>und</strong>igen", den Wandel vom mythischen Erzählen<br />
zur wissenschaftlich-kritischen Quellenk<strong>und</strong>e, von <strong>der</strong> Esoterik zur Exoterik <strong>und</strong><br />
Öffnung <strong>der</strong> alevitischen Lehre für das Studium durch Nicht- aleviten.<br />
Diese Wandlungsprozesse gehen nicht ohne Probleme <strong>und</strong> Konflikte vonstatten.<br />
Sie haben einen Legitimationsstreit zur Folge, den die Aleviten bislang<br />
lediglich als politische Differenz auf <strong>der</strong>selben symbolischen Ebene wahrgenommen<br />
haben, <strong>der</strong> jedoch m.E. gr<strong>und</strong>sätzlicher Natur ist. Wissenssoziologisch<br />
betrachtet äußert er sich im Kampf um die Legitimität <strong>der</strong> Erkenntnisformen<br />
sprirituelle Inspiration versus intellektuelle Reflexion sowie Introspektion versus<br />
kognitive Empirie.<br />
Der Streit um die symbolische Ordnung<br />
Infolge dieser Wandlungen kristallisieren sich zwei Hauptströmungen her<strong>aus</strong>:<br />
-die mehr politisch-philosophisch argumentierenden F<strong>und</strong>amental-Oppositionellen,<br />
-die stärker religiös argumentierenden gemäßigten Reformer.<br />
Während die erste Gruppe radikal laizistisch orientiert ist <strong>und</strong> für die gänzliche<br />
Abschaffung des Amtes für religiöse Angelegenheiten eintritt, möchten die<br />
"Gemäßigten" lediglich als eine "Konfession" anerkannt <strong>und</strong> staatlich geför<strong>der</strong>t<br />
werden. So treten sie z.B. dafür ein, daß das Amt für religiöse Angelegenheiten<br />
die Bevölkerung über die Aleviten aufklärt, <strong>der</strong> Religionsunterricht nicht<br />
einseitig an dem sunnitischen Islam orientiert erteilt wird <strong>und</strong> die Aleviten einen<br />
festen Anteil <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Staatskasse zugewiesen bekommen. Die erste Gruppe<br />
hingegen möchte religiöse Angelegenheiten gänzlich <strong>aus</strong> dem öffentlichen in den<br />
privaten Bereich verlegt <strong>und</strong> überhaupt nicht staatlich geför<strong>der</strong>t wissen.<br />
Die erste Gruppe arbeitet daran, den Glauben zu politisieren, während die<br />
an<strong>der</strong>e Richtung stärker darauf hinwirkt, das Alevitum zu entpolitisieren <strong>und</strong> zu<br />
sakralisieren - eine Entwicklung, die <strong>der</strong> generellen islamischen Bewegung<br />
immanent ist. Auch in <strong>der</strong> sunnitischen Bewegung existiert dieselbe ambivalente<br />
Dichotomie (KarakaÕo—lu 1996: 270). Dementsprechend unterschiedlich fallen<br />
das emotionale Verhältnis zu den Ritualen, die Tiefe <strong>der</strong> emotionalen Bindung<br />
<strong>und</strong> die Resonanz <strong>aus</strong>, die die Rituale bei dem einzelnen <strong>aus</strong>lösen. Diejenigen,<br />
die den Glauben politisieren möchten, tendieren stärker zum Folklorismus <strong>und</strong><br />
Formalismus. Bei ihnen dienen die Rituale weniger dazu, spirituellen<br />
Bedürfnissen nachzukommen, son<strong>der</strong>n eher dazu, ein Symbolsystem zur<br />
Exklusion <strong>und</strong> Inklusion zu schaffen. Zeremonien stellen für sie mit an<strong>der</strong>en<br />
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