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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Dursun Tan<br />

sprechend seiner politischen Ziele zu instrumentalisieren, eine Vorgehensweise,<br />

die sich bis in die osmanisch-persische Zeit zurückverfolgen läßt. Die Aleviten<br />

scheinen - wenn auch nur teilweise - <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Geschichte gelernt zu haben. Zwar<br />

tendieren sie nach wie vor zur Linken, jedoch organisieren sie sich inzwischen<br />

auch separat <strong>und</strong> wollen sich nicht mehr auf eine Richtung o<strong>der</strong> Partei festlegen.<br />

Sie sind sehr empfindlich gegenüber Vereinnahmungsversuchen geworden.<br />

Zur strukturellen Säkularisierung des Alevitums:<br />

Die Dorf-Stadt-Migration<br />

Erste Auflösungserscheinungen zeigten sich im Alevitum bereits Anfang dieses<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, insbeson<strong>der</strong>e in Folge <strong>der</strong> Republiksgründung. "Der Bau von<br />

Straßen durch ehemalige Rückzugsgebiete, die Einführung <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Schulpflicht <strong>und</strong> die Verbesserung <strong>der</strong> Kommunikationssysteme brachten die<br />

Aleviten in immer stärkere Berührung mit <strong>der</strong> Außenwelt" (Kehl-Bodrogi 1993:<br />

269). Trotz <strong>der</strong> kemalistischen Säkularisierungspolitik hat <strong>der</strong> Druck des<br />

sunnitischen Umfelds auf die Aleviten nicht ab-, son<strong>der</strong>n eher noch zugenommen.<br />

Hier muß man strikt zwischen <strong>der</strong> kemalistischen Politik <strong>und</strong> den unintendierten<br />

Folgen <strong>der</strong> Politik für die Alltagsrealität trennen. Die kemalistische<br />

Säkularisierungspolitik hat entgegen den Erwartungen nicht zum Bedeutungsverlust<br />

<strong>der</strong> Religion im Alltag geführt, son<strong>der</strong>n zum einen zur Verstaatlichung<br />

<strong>der</strong> Religion <strong>und</strong> damit zusammenhängend zum stillen Aufstieg <strong>der</strong><br />

sunnitisch-hanefitischen Auffassung des Islam zur nichterklärten Staatsreligion<br />

<strong>und</strong> zum an<strong>der</strong>en zur Verdrängung volkstümlicher Vorstellungen von Religion<br />

<strong>und</strong> damit auch heterodoxer Richtungen wie des Alevitums in den Untergr<strong>und</strong>.<br />

Von dort setzte ein Prozeß ein, "in dessen Folge sich Binnenstruktur, religiöse<br />

Praxis <strong>und</strong> nicht zuletzt das kollektive Selbstverständnis <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

gr<strong>und</strong>legend verän<strong>der</strong>n sollten. Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die<br />

massenhafte Abwan<strong>der</strong>ung von Alevi in die Städte, die im Zuge <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Landflucht in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> zwischen 1948 <strong>und</strong> 1956 einsetzte" (Kehl-Bodrogi<br />

1993: 269). Unter Bedingungen städtischen Lebens <strong>und</strong> marginalen Daseins<br />

inmitten eines dominanten sunnitischen Islam ließen sich die traditionellen<br />

Gemeinschaftsformen, die auf dörfliches <strong>und</strong> endogames Leben abgestimmt<br />

waren, nicht mehr aufrechterhalten. Dies hatte eine "strukturelle Säkularisation"<br />

zur Folge, "d.h., daß wichtige Bereiche des sozialen Lebens <strong>der</strong> Einflußsphäre<br />

religiöser Institutionen entzogen wurden". Kehl-Bodrogi vertritt die Ansicht, daß<br />

es mit <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> dörflichen Strukturen beinahe zum vollständigen<br />

Verschwinden <strong>der</strong> Institution <strong>der</strong> Wegbru<strong>der</strong>schaft (müsahiplik) kam. Diese<br />

Einschätzung kann ich nicht ganz teilen. Meines Erachtens führte sie zu einem<br />

Bedeutungswandel dieser Institution, nicht aber zu ihrem völligen<br />

Verschwinden. Das gilt auch für die Diaspora in Europa. Die Institution <strong>der</strong>

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