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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Einleitung<br />

ihrer <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong>rechte beraubt. In Abhängigkeit davon, wie bedrohlich ihr Verhalten<br />

für die junge Republik eingeschätzt wurde, bekamen diese <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> die Folgen<br />

ihrer Existenz "am <strong>Rand</strong>e" zu spüren. Christen <strong>und</strong> Yeziden wurden <strong>aus</strong>gegrenzt <strong>und</strong><br />

häufig verfolgt. Das dunkle Kapitel <strong>der</strong> Verfolgung <strong>der</strong> Armenier ist bis heute noch<br />

immer nicht vollständig aufgeklärt; die Griechisch-Orthodoxe Gemeinde <strong>der</strong><br />

Schwarzmeer-Region wurde in den zwanziger Jahren gegen "ethnische Türken" <strong>aus</strong><br />

Griechenland "<strong>aus</strong>get<strong>aus</strong>cht"; die Yeziden verließen in den siebziger Jahren, des<br />

Terrors <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schikanen müde, en masse ihre Heimatdörfer. In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

erhielten sie als religiös Verfolgte Gruppenasyl. Ein Teil <strong>der</strong> Aleviten fand einen Weg<br />

in die türkische Öffentlichkeit <strong>und</strong> Politik, indem sie ihre religiöse Identität mit einer<br />

politischen t<strong>aus</strong>chten o<strong>der</strong> sich als die "laïzistischen Verteidiger" <strong>der</strong> Republik<br />

bezeichneten. Die meisten blieben indes bis in die jüngste Zeit zahlreichen Angriffe<br />

islamistischer Muslime <strong>aus</strong>gesetzt.<br />

Seit den achtziger Jahren hat sich das türkische Staatsmonopol auf die Definition<br />

von Religion gelockert. Taner Akçam stellt in diesem Band fest, daß "Islam" nicht<br />

mehr zur türkisch-republikanischen Selbstdefinition gehört, son<strong>der</strong>n zunehmend das<br />

"Eigentum" einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe wird. Heutzutage, so Akçam,<br />

muß sich die republikanisch-islamische Identität gegen gleichberechtigte laïzistische,<br />

orthodox-islamische <strong>und</strong> alevitische Identitäten behaupten <strong>und</strong> mit ihnen um die<br />

Definitionsmacht darüber konkurrieren, was "Religion" ist <strong>und</strong> welchen Platz sie in <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit einnehmen soll. Der Konkurrenzkampf hat sich auch nach Westeuropa<br />

verlagert. In Deutschland, dem Land, in dem sich die meisten türkischen Muslime außerhalb<br />

<strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> befinden, wird er zum Teil leidenschaftlich geführt.<br />

<strong>Religiöse</strong> <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> in Deutschland<br />

In <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland wurde die Verortung religiöser <strong>Min<strong>der</strong>heiten</strong> in<br />

diesem Jahrh<strong>und</strong>ert stets vom Verhältnis zwischen Staat <strong>und</strong> Kirche bestimmt. Hier<br />

kann nicht von Verfolgung gesprochen werden. (Die Verfolgung <strong>der</strong> Juden war gegen<br />

die Juden als "Rasse", jedoch nicht als religiöse Min<strong>der</strong>heit gerichtet gewesen.)<br />

Vielmehr handelte es sich um ein Ungleichgewicht in <strong>der</strong> Kommunikation zwischen<br />

dem Staat <strong>und</strong> den nicht als Kirche anerkannten religiösen Gruppen. Als Kirche galt,<br />

was den gesetzlich festgelegten Bedingungen entsprach <strong>und</strong> den Status einer<br />

Körperschaft öffentlichen Rechts erhalten hatte. Der Staat spielte gegenüber <strong>der</strong><br />

Religion auch eine an<strong>der</strong>e Rolle, als dies in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> <strong>der</strong> Fall war. Die<br />

Reichsverfassung legte Anfang des Jahrh<strong>und</strong>erts fest, daß <strong>der</strong> Kirche wichtige soziale<br />

Aufgaben überlassen werden sollten, die diese in Eigenverwaltung <strong>aus</strong>üben könne.<br />

Dadurch war das Verhältnis einerseits von einer Trennung von Staat <strong>und</strong> Kirche<br />

geprägt, an<strong>der</strong>erseits von einer Durchdringung <strong>der</strong> Gesellschaft mit kirchlichen<br />

Aufgaben.<br />

Diese historische Gesetzeslage führt bis heute dazu, daß Kirchen eine zusätzliche<br />

soziale <strong>und</strong> gesellschaftliche Rolle zu spielen haben <strong>und</strong> ein Scharnier zwischen Oben<br />

<strong>und</strong> Unten, Staat <strong>und</strong> Gesellschaft, Institution <strong>und</strong> Individuum bilden. Die Gesetzgeber

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