Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Taner Akçam<br />
Erklärungsmodelle, die auf dem F<strong>und</strong>amentalismusbegriff aufbauen, geraten<br />
inzwischen ohnehin zusehends in die Kritik. Ich will vielmehr darauf eingehen, in<br />
welchem Rahmen die Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen Religion <strong>und</strong> Staat in <strong>der</strong><br />
<strong>Türkei</strong> zu untersuchen ist; besser gesagt, ich will hierfür einen Rahmen anbieten.<br />
Mein Hauptanliegen ist es zu verdeutlichen, in welchen historischen Kontexten die<br />
heutigen Entwicklungen zu betrachten sind. Dafür ist es zunächst notwendig,<br />
bestimmte Hauptaspekte <strong>der</strong> Beziehung zwischen Religion <strong>und</strong> Staat während des<br />
Nationalisierungs- <strong>und</strong> Staatsbildungsprozesses in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> seit dem<br />
Osmanischen Reich näher zu untersuchen.<br />
Es wird also in meinem Beitrag um einige Merkmale des osmanisch-türkischen<br />
Mo<strong>der</strong>nisierungsprozesses auf dem Boden islamischer Tradition gehen. Ich werde<br />
abschließend einige Thesen dazu aufstellen, welche Bedeutung dies für die<br />
B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland haben könnte.<br />
Eine begriffliche Klärung<br />
Zuerst möchte ich einige begriffliche Klärungen vornehmen. Die Begriffe<br />
Laizismus <strong>und</strong> Säkularismus verwende ich in ihrer gemeinsamen Bedeutung als die<br />
Befreiung aller gesellschaftlichen Bereiche von religiösen Werten <strong>und</strong> Symbolen.<br />
Der Laizismus-Begriff bezeichnet dabei die Verweltlichung auf politischer <strong>und</strong><br />
rechtlicher Ebene, also im klassischen Sinne die Trennung von Staat <strong>und</strong> Religion.<br />
Den Begriff des Säkularismus verwende ich als Ausdruck <strong>der</strong> Befreiung <strong>der</strong><br />
gesamten individuellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Existenz <strong>und</strong> somit gleichsam <strong>der</strong><br />
ökonomischen, moralischen <strong>und</strong> kulturellen Bereiche von den religiösen<br />
Institutionen <strong>und</strong> ihrer Symbolik. Somit stellt <strong>der</strong> Prozeß des Laizismus, <strong>der</strong> dazu<br />
führt, daß <strong>der</strong> Staat seine Legitimationsgr<strong>und</strong>lage immer weniger durch die<br />
Religion erhält, lediglich einen - wenn auch sehr wichtigen -Aspekt <strong>der</strong><br />
gesellschaftlichen Säkularisierung dar.<br />
Ich nehme diese strikte begriffliche Trennung deshalb vor, weil dadurch <strong>der</strong><br />
osmanisch-türkische Mo<strong>der</strong>nisierungsprozeß besser zu verstehen sein wird. Denn,<br />
wie ich zeigen möchte, hat sich das Verhältnis zwischen Staat <strong>und</strong> Religion in <strong>der</strong><br />
osmanisch-türkischen Tradition nicht gr<strong>und</strong>sätzlich geän<strong>der</strong>t. Zwar gibt es eine<br />
starke Kontrolle <strong>der</strong> Religion durch die politische Macht, aber eben keine Trennung<br />
bei<strong>der</strong> Elemente, so daß man hier von Kontinuität sprechen kann. Was aber die<br />
Säkularisierung <strong>der</strong> Gesellschaft angeht, so ist diese ziemlich problematisch. So<br />
liegen die Probleme, die wir zur Zeit in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> haben, meiner Meinung nach<br />
nicht im Bereich des Verhältnisses von Staat <strong>und</strong> Religion, son<strong>der</strong>n vielmehr darin,<br />
wie weit (<strong>und</strong> ob überhaupt) die religiösen Werte, Normen <strong>und</strong> Symbole <strong>aus</strong> dem<br />
Alltag her<strong>aus</strong>gedrängt werden sollen.<br />
Bevor ich einige Merkmale <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung des osmanischtürkischen<br />
Säkularisierungsprozesses behandele, möchte ich auf einen Einwand