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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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bin o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> zum Beispiel ... Dann überlegt man von <strong>der</strong><br />

Glaubensseite her, ob es etwas <strong>aus</strong>macht, daß man in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong>, also<br />

in Deutschland o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> ist ... Eigentlich macht das<br />

überhaupt nichts <strong>aus</strong>."<br />

Nikola Tietze<br />

Mit gutem Gewissen kann Murat also sein Studentenleben in Hamburg fortführen<br />

<strong>und</strong> sich trotzdem die Möglichkeit des Dialogs mit seiner Mutter<br />

offenhalten. Die religiöse Identifikation, die die im Bildungsweg angelegte<br />

Emanzipation von <strong>der</strong> Familie erst möglich gemacht hat, sichert bzw. stabilisiert<br />

gleichzeitig die Verbindung zur familiären Lebenswelt.<br />

Eine Beson<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> türkischen Immigration besteht darin, daß sich im Einwan<strong>der</strong>ungsland<br />

lokale Solidaritätsmilieus her<strong>aus</strong>gebildet haben. Familiäre,<br />

ethnische <strong>und</strong> konfessionelle Netzwerke, die zum größten Teil auf einer gemeinsamen<br />

regionalen Herkunft in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> beruhen, sind dadurch in vielen<br />

Fällen zur Gr<strong>und</strong>lage des sozialen Lebens in <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik geworden<br />

(Nauck, Kohlmann, Diefenbach 1997). Als Orte <strong>der</strong> familiären Sozialisation<br />

gehen diese Solidaritätsmilieus für die jungen Männer meiner Untersuchungsgruppe<br />

mit einer bestimmten politischen Orientierung einher. U. a. durch diese<br />

Strukturen bleiben Parteien <strong>und</strong> politische Streitfragen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> in <strong>der</strong><br />

immigrierten Bevölkerung lebendig, obwohl heute die dritte Generation in <strong>der</strong><br />

B<strong>und</strong>esrepublik aufwächst. Es ist eine soziologische Selbstverständlichkeit, daß<br />

die Identifikation mit türkischen Parteien <strong>und</strong> Konflikten unter den jungen<br />

Erwachsenen <strong>der</strong> zweiten Generation nicht mehr auf den Erfahrungen beruht, die<br />

die Eltern zu einer bestimmten politischen Überzeugung geführt haben. Auch<br />

wenn türkische Medien die Politikbereiche <strong>aus</strong> diesem Land in Deutschland<br />

wachhalten, werden sie von jungen Leuten auf dem Hintergr<strong>und</strong> ihrer<br />

Erfahrungen in <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esrepublikanischen Gesellschaft verarbeitet. Das<br />

Sympathisieren mit den Grauen Wölfen, mit nationalistischen o<strong>der</strong> linksradikalen<br />

Parteien kann daher für die Söhne <strong>der</strong> Immigranten zu einer Auseinan<strong>der</strong>setzungsform<br />

mit ihrem familiären Erbe werden. Muslimische Religiosität, über<br />

die sich <strong>der</strong> einzelne als Subjekt gegenüber <strong>der</strong> Familie <strong>und</strong> ihrem Solidaritätsmilieu<br />

konstituiert, nimmt dabei eine beson<strong>der</strong>e Funktion ein. In seiner<br />

Bedeutung als Religion kann <strong>der</strong> Islam subjektiv dazu benutzt werden, die<br />

traditionellen Grenzen innerhalb <strong>der</strong> türkischen Bevölkerung zu reflektieren, ja<br />

zu überwinden. Mehmet, <strong>der</strong> <strong>aus</strong> einer Familie kommt, "die so ein bißchen rechts<br />

ist", betont zum Beispiel, daß <strong>der</strong> Islam für alle da sei, nicht nur für die Türken.<br />

"Also <strong>der</strong> Islam ist nicht links <strong>und</strong> nicht rechts. Er geht dazwischen durch."<br />

Genau wie die Religion B zumindest in ihrer idealen Konzeption B ethnische <strong>und</strong><br />

nationale Loyalitäten auflösen kann, so hofft dieser junge Mann, sich über die<br />

muslimische Identifikation von dem Nationalismus seiner Eltern zu lösen, ohne<br />

mit ihnen zu brechen. Letztere sind Muslime, weil sie trotz <strong>der</strong> Immigration nach<br />

Deutschland "überzeugte Türken" sein wollen. Mehmet hingegen wird zum

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