Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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<strong>Kern</strong> <strong>und</strong> <strong>Rand</strong>.<br />
Ein Nachwort zum Motto <strong>der</strong> Tagung<br />
Heiner Bielefeldt<br />
"<strong>Kern</strong> <strong>und</strong> <strong>Rand</strong>": Ein vieldeutiges Motto hat sich Gerdien Jonker für die<br />
Tagung <strong>aus</strong>gedacht, <strong>aus</strong> <strong>der</strong>en Anlaß die vorliegenden Beiträge entstanden<br />
sind. Diese Vieldeutigkeit ist gewiß Absicht. Das Motto zieht sich wie ein<br />
Leitmotiv durch die verschiedenen Aufsätze. Es erscheint in Dur o<strong>der</strong> in Moll,<br />
mit starker o<strong>der</strong> mit schwacher Orchestrierung, als hymnischer Introitus für<br />
neue Möglichkeiten religiöser Selbstorganisation in <strong>der</strong> Diaspora o<strong>der</strong> als<br />
trauriger Abgesang an eine vielleicht endgültig verlorene Heimat. Ich möchte<br />
im folgenden einige Gedanken anklingen lassen, die sich mir beim Hören <strong>der</strong><br />
Vorträge <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Lektüre <strong>der</strong> Aufsätze aufgedrängt haben.<br />
Zunächst eine Vorbemerkung zu den Autorinnen * <strong>und</strong> Autoren. Bei einigen<br />
handelt es sich um Angehörige <strong>der</strong> von ihnen beschriebenen religiösen Gruppierung;<br />
an<strong>der</strong>e hingegen gehören <strong>der</strong> jeweiligen Gruppe nicht an. Man könnte<br />
deshalb versucht sein zu sagen, daß die einen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Mitte (dem "<strong>Kern</strong>") <strong>der</strong><br />
eigenen religiösen Praxis her<strong>aus</strong> schreiben, während an<strong>der</strong>e sich bemühen, von<br />
außen (über den "<strong>Rand</strong>") hineinzuschauen. Doch so einfach ist die Sache nicht:<br />
Denn wer verstehen will, was in einer religiösen Gruppierung vor sich geht,<br />
kann nicht völlig draußen bleiben; er o<strong>der</strong> sie braucht Empathie <strong>und</strong> muß sich<br />
"einlassen". Und umgekehrt gilt, daß eine Beschreibung <strong>und</strong> Deutung<br />
religiöser Praxis, auch <strong>der</strong> eigenen Praxis, nicht ohne kritische Abstandnahme<br />
möglich ist. Man kann also auch nicht ganz drinnen bleiben (was die<br />
Propagandisten <strong>der</strong> "Authentizität" gelegentlich vergessen). Eine reflexive <strong>und</strong><br />
kommunikative Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Themen dieses Bandes verlangt,<br />
die Grenzen von Innen <strong>und</strong> Außen, von Vertrautheit <strong>und</strong> Fremdheit, von <strong>Kern</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Rand</strong> immer wie<strong>der</strong> zu durchkreuzen, <strong>und</strong> zwar nach beiden Richtungen<br />
hin. Die Grenzen werden dadurch nicht aufgelöst, geraten aber in Bewegung.<br />
Die vermutlich erste <strong>und</strong> stärkste Assoziation, die das Motto <strong>der</strong> Tagung<br />
<strong>aus</strong>löst, ist eine territoriale: Den traditionellen Herkunftslän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> hier<br />
besprochenen Religionsgemeinschaften steht die Diaspora gegenüber. Aus <strong>der</strong><br />
Perspektive <strong>der</strong> "<strong>Kern</strong>län<strong>der</strong>" (konkret vor allem <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong>), in <strong>der</strong> die Religionsgemeinschaften<br />
seit langem beheimatet sind, bildet die europäische<br />
Diaspora lediglich den "<strong>Rand</strong>". Eine ähnliche Sichtweise dominiert immer<br />
noch in <strong>der</strong> Islamwissenschaft, die hierzulande traditionell als "Orientalistik"<br />
firmiert <strong>und</strong> sich bis vor wenigen Jahren für den Islam im Okzident kaum<br />
*<br />
Daß es sich in <strong>der</strong> Mehrzahl um jüngere Frauen handelt, ist ungewöhnlich <strong>und</strong> macht den vorliegenden<br />
Band zu einer Ausnahme - statistisch gesehen: zu einem <strong>Rand</strong>phänomen - in <strong>der</strong> deutschen<br />
akademischen Diskussion.