Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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200<br />
Sigrid Nökel<br />
sie z.B. vom Frauenraum Küche ins Wohnzimmer zu den männlichen Gästen<br />
wechseln, um an den Gesprächen teilzunehmen. "Wie ein Mann sein" -diese im<br />
Türkischen gängige Bezeichnung für "starke" Frauen gilt als positives Attribut.<br />
Ersichtlich ist ein Spiel mit dem Segregationsprinzip. Einerseits bestehen die<br />
jungen Muslimas auf Geschlechtertrennung, z.B. auf Parties mit Disco-<br />
Charakter, die in einem lokalen Netzwerk 5 im Abstand von mehreren Wochen in<br />
einem christlichen Jugendzentrum organisiert werden. In diesem "fun space"<br />
(Werbner 1996) wird <strong>aus</strong>giebig getanzt zu Musik, die von Ethno-Pop bis Techno<br />
reicht. Die vorhandenen Spielgeräte, Billardtisch <strong>und</strong> Fußballkicker, werden rege<br />
genutzt. Viele nehmen ihre Kopftücher ab <strong>und</strong> erscheinen in Kleidung, die ihnen<br />
"draußen" nicht islamisch genug wäre. Die erzählten Witz sind nicht gerade für<br />
Kin<strong>der</strong> geeignet. In solchen wenig reglementierten Situationen, in denen man<br />
Spaß haben will, ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, verfängliche<br />
Zeichen <strong>und</strong> Selbstverweise <strong>aus</strong>zusenden, <strong>und</strong> zu denen Frauen aller<br />
Nationalitäten eingeladen werden - sie müssen nicht unbedingt islamisch sein,<br />
aber vertrauenswürdig, das heißt, des Tratsches unverdächtig - sind Männer<br />
<strong>und</strong>enkbar. Sie erscheinen denn auch nur zu vorgerückter St<strong>und</strong>e, um, sich durch<br />
ein Klopfen an <strong>der</strong> Tür diskret bemerkbar machend, ihre Ehefrau o<strong>der</strong> Schwester<br />
abzuholen.<br />
An<strong>der</strong>erseits gibt es als geschlechtsneutral definierte Situationen auch in <strong>der</strong><br />
inner-islamischen Interaktion, in denen die Abwesenheit eines Geschlechtes<br />
diskriminierend wirken könnte. Der sachliche Diskurs, das Mitsprechen <strong>und</strong><br />
Sichweiterbilden an ernsten Themen, sowohl Arbeit wie Vergnügen <strong>und</strong> für<br />
beide Geschlechter gleichermaßen eine Pflicht, hebt die Segregation auf. Im<br />
sachlichen Diskurs manifestiert sich die Gleichheit <strong>der</strong> Geschlechter. In ihm<br />
zeigt sich, als Bestandteil des Lebensstils, die gehobene Moral <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Muslime in <strong>der</strong> Fähigkeit, zwei verschiedene Moralsysteme zu beherrschen.<br />
Damit heben sie sich vom Islam <strong>der</strong> "Unwissenden" ab, die entwe<strong>der</strong> die<br />
Segregationsprinzipien nicht beherrschen 6 o<strong>der</strong> sie rigide <strong>und</strong> meist zum Nachteil<br />
<strong>der</strong> Frauen anwenden.<br />
3. Die individuierte Umsetzung<br />
Die neo-islamische Weiblichkeit verfügt - trotz Authentizitätspostulats - über<br />
keine festen Leitbil<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> Generation <strong>der</strong> Mütter gibt es so gut wie keine<br />
Frauen, die für die jungen Frauen Vorbildfunktionen haben. Fatima, <strong>der</strong>en Eltern<br />
<strong>der</strong>artig traditionale Praktiken <strong>aus</strong>üben, daß sie mittlerweile nur noch sehr<br />
begrenzten Umgang mit an<strong>der</strong>en Familien pflegen, "weil es denen (d.h. den<br />
an<strong>der</strong>en) zu viel ist", beschreibt bew<strong>und</strong>ernd eine Frau mit Mittelschichtshintergr<strong>und</strong>,<br />
die für sie in perfekter Weise Islam <strong>und</strong> mo<strong>der</strong>ne Lebensweise<br />
produktiv verbindet: