Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Gaby Straßburger<br />
ersten Generation unterscheidet. In <strong>der</strong> Tat wird diese Vermutung immer wie<strong>der</strong><br />
geäußert, <strong>und</strong> zwar in aller Regel als Vorwurf formuliert, daß die Türken sich<br />
nicht anpassen wollen <strong>und</strong> deshalb beinahe <strong>aus</strong>schließlich innerhalb ihrer<br />
eigenen Gruppe heiraten. Was dabei leichtfertig als Indiz für fehlende<br />
Integrationsbereitschaft angesehen wird, ist zunächst in erster Linie eine Frage<br />
<strong>der</strong> Zeit. Auch an<strong>der</strong>e Einwan<strong>der</strong>ungsgruppen, die mittlerweile als voll integriert<br />
gelten, wie z. B. jüdische o<strong>der</strong> japanische Immigranten in den USA, hatten in <strong>der</strong><br />
zweiten Generation nur eine geschätzte Exogamierate von fünf bis 15 Prozent<br />
(vgl. Spickard 1989: 344). Zudem wird <strong>aus</strong> <strong>der</strong> folgenden Darstellung deutlich<br />
werden, daß auch im Bereich des inner-türkischen Heiratsverhaltens merkliche<br />
Verän<strong>der</strong>ungen stattfinden, die auf eine Relativierung <strong>und</strong> Diversifizierung <strong>der</strong><br />
Herkunftsbezüge <strong>und</strong> auf eine Integration in Deutschland zurückzuführen sind.<br />
Bei <strong>der</strong> Analyse wird auf Interviews zurückgegriffen, die die Autorin im<br />
Frühjahr 1996 mit verheirateten Frauen <strong>und</strong> Männern <strong>der</strong> zweiten Migrantengeneration<br />
türkischer Herkunft in einer mittelgroßen Stadt in Franken geführt<br />
hat. 11 Zur Illustration <strong>der</strong> weiteren Ausführungen sollen zunächst die<br />
Partnerwahlen <strong>der</strong> 19jährigen Kibriye, ihrer Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> ihres Schwagers<br />
beschrieben werden. 12<br />
Kibriye wurde 1977 in <strong>der</strong> fränkischen Kleinstadt Heimburg geboren. Sie ist<br />
das jüngste Kind <strong>und</strong> einzige Mädchen. Ihre Brü<strong>der</strong> sind fünf bis 13 Jahre älter.<br />
Sie wurden in einem südostanatolischen Dorf geboren, von wo <strong>der</strong> Vater 1973<br />
als Arbeitsmigrant nach Deutschland angeworben wurde. Drei Jahre später<br />
kamen dann auch Kibriyes Mutter <strong>und</strong> ihre Brü<strong>der</strong> im Rahmen des<br />
Familiennachzugs nach Heimburg.<br />
Kibriyes ältester Bru<strong>der</strong> ist mit einer Cousine verheiratet, die ihm als Heiratsmigrantin<br />
nach Deutschland in den H<strong>aus</strong>halt seiner Eltern gefolgt ist. Das Paar<br />
lebte auch nach <strong>der</strong> Geburt mehrerer Kin<strong>der</strong> noch einige Jahre im patrilokalen<br />
H<strong>aus</strong>halt. Der zweitälteste Bru<strong>der</strong> hatte bereits einige türkische Fre<strong>und</strong>innen,<br />
bevor seine Eltern versuchten, eine türkische Frau für ihn zu finden, die in<br />
Deutschland lebt. Nachdem diese Versuche gescheitert waren, kam es schließlich<br />
zur Verlobung mit einer Remigrantin, die in Deutschland aufgewachsen war.<br />
Nach dem Abschluß ihres Studiums in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> heirateten sie <strong>und</strong> die Frau zog<br />
nach Deutschland. Der jüngste Bru<strong>der</strong> hatte zunächst eine deutsche Fre<strong>und</strong>in.<br />
Nachdem er sich von ihr getrennt hatte <strong>und</strong> mit 18 Jahren "von zu H<strong>aus</strong>e<br />
weggelaufen" war, lebte er mit seiner neuen Partnerin -ebenfalls eine Deutsche -<br />
in nicht-ehelicher Lebensgemeinschaft. Sie bekamen drei Kin<strong>der</strong>, bevor sie sich<br />
nach sieben Jahren trennten.<br />
Als Kibriye 14 Jahre alt war, erhielten ihre Eltern in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> die ersten Anfragen<br />
bezüglich einer Eheschließung mit ihr. Auch in den kommenden Jahren<br />
wurde die Familie im Urlaub immer wie<strong>der</strong> mit Besuchen konfrontiert, die als<br />
Brautwerbung gedacht waren. Die Anfragen kamen nicht nur <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
Verwandtschaft <strong>und</strong> dem engeren Bekanntenkreis, son<strong>der</strong>n auch von sonstigen