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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Raum als Erinnerungsträger des Heiligen <strong>und</strong> des Bedrohlichen<br />

Heidi Armbruster<br />

Viele Suryoye identifizieren ihren Herkunftsraum mit u-afraydhan (unser Territorium,<br />

unser Boden) <strong>und</strong> einer Reihe von Phänomenen, die sie daran geknüpft<br />

sehen, wie etwa die sakrale Landschaft von Kirchen <strong>und</strong> Klöstern <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

christlichen Monumenten, die sie als Träger <strong>und</strong> Zeugen ihrer kollektiven<br />

Identität betrachten. Dennoch gibt es einen mit <strong>der</strong> Heimat verknüpften Ortssinn,<br />

<strong>der</strong> mit erheblich weniger Gewißheiten <strong>aus</strong>gestattet ist als <strong>der</strong>jenige, den<br />

europäische Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaften gewöhnlich von ihrem Territorium<br />

haben. Dabei scheinen mir zwei Faktoren wichtig zu sein. Der erste ist die<br />

unsichere Bedeutung <strong>der</strong> Region Tur Abdin schlechthin. Dort stehen we<strong>der</strong> das<br />

H<strong>aus</strong>, noch das Dorf, noch das Feld für Schutz, Sicherheit <strong>und</strong> Unversehrtheit,<br />

Charakteristika, die wir gemeinhin mit Heim, Heimat o<strong>der</strong> H<strong>aus</strong> verbinden. 5 Der<br />

historische <strong>und</strong> gegenwärtige Status als lokale <strong>und</strong> nationale Min<strong>der</strong>heit hat<br />

immer wie<strong>der</strong> Übergriffe, Mißachtung <strong>und</strong> Infragestellung des Anspruches <strong>der</strong><br />

Suryoye auf ihr Territorium mit sich gebracht. Ich habe keine historische<br />

Perspektive gehört, in <strong>der</strong> Suryoye zurückschauten auf einen unversehrten,<br />

Schutz verheißenden Ort, an dem sie es problemlos durchsetzen konnten,<br />

territoriales Eigentum zu reklamieren o<strong>der</strong> mit Selbstverständlichkeit "ihre<br />

Identitäten zu lokalisieren" (Massey 1992: 14). 6 Gleichermaßen ist <strong>und</strong> war ihre<br />

Bewegung im Raum häufig eingeschränkt <strong>und</strong> nicht selbst bestimmbar 7 , <strong>und</strong><br />

nach <strong>der</strong> Emigration hörte er für viele auf, ein Ort möglicher Rückkehr zu sein 8 .<br />

Das Eingeb<strong>und</strong>ensein in lokale <strong>und</strong> überregionale politische Machtstrukturen<br />

<strong>und</strong> ein multiethnisches Gefüge haben keinerlei uniforme Beziehung zwischen<br />

Raum <strong>und</strong> Kultur o<strong>der</strong> Raum <strong>und</strong> Sprache o<strong>der</strong> Religion erzeugt, ein Phänomen,<br />

das etwa die deutsche Mehrheitsgesellschaft in ihrer Selbstwahrnehmung<br />

gemeinhin vor<strong>aus</strong>setzt. Zum an<strong>der</strong>en haben die Suryoye diese Situation als<br />

interethnisch <strong>und</strong> interregional erzeugte nie hinterfragt. Der Großraum Tur<br />

Abdin stellt für sie keinen uniformen, von festen Grenzen umrissenen <strong>und</strong> von<br />

einer homogenen Kultur getragenen Ort dar. Damit soll nicht angedeutet werden,<br />

daß das multiethnische <strong>und</strong> multikonfessionelle Gefüge ein unbeschwertes<br />

Miteinan<strong>der</strong> bedeutete, son<strong>der</strong>n eher im Gegenteil eine periodisch konflikthafte<br />

Situation. Dennoch haben die Suryoye ein starkes Bewußtsein ihrer lokalen<br />

Situation als eines Ergebnisses interaktiver <strong>und</strong> ortsübergreifen<strong>der</strong> Prozesse. Die<br />

historisch alte Erfahrung <strong>der</strong> minoritären Position, <strong>der</strong> Unsicherheit <strong>und</strong><br />

wie<strong>der</strong>kehrenden Bedrohung ist eingeflochten in die genaue Wahrnehmung des<br />

heimatlichen Gebiets als eines Territoriums diverser Einflüsse <strong>und</strong> inter- <strong>und</strong><br />

überregionaler Verbindungen.<br />

Dazu gehört etwa die historische Erfahrung, über lange Perioden hinweg im<br />

Einflußbereich wechseln<strong>der</strong>, aber doch sie dominieren<strong>der</strong> Nationen gelebt zu<br />

haben. Dabei waren die Suryoye zumeist Bewohner des "<strong>Rand</strong>es" einer geogra-

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