Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Heidi Armbruster<br />
fast unmöglich, nicht mit Vorstellungen von Ort <strong>und</strong> Raum zu operieren, wenn<br />
es darum geht, gedankliche Einordnungen dieses Prozesses anzustellen. <strong>Kern</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Rand</strong> sind Beispiele solcher kognitiven Register, die verräumlichen <strong>und</strong> die<br />
in einem solchen verräumlichten Schema eine Erklärung dafür suggerieren, um<br />
welchen Sachverhalt es geht.<br />
Wahrscheinlich ist es eine menschliche Universalie, einen Ortssinn zu haben,<br />
sich in spezifischer Weise auf den Ort zu beziehen, an dem man sich befindet,<br />
den man bewohnt o<strong>der</strong> in sonst einer Weise persönlich erlebt <strong>und</strong> erfährt. Das<br />
Verhältnis zu einem Ort o<strong>der</strong> das sich Vorstellen <strong>und</strong> Orientieren im Raum ist<br />
keinesfalls trivial, son<strong>der</strong>n wahrscheinlich ganz zentral eingeb<strong>und</strong>en in menschliches<br />
Aushandeln von Zugehörigkeit <strong>und</strong> Identität. Wie Charles Taylor her<strong>aus</strong>gearbeitet<br />
hat, handelt es sich bei unserem Begriff von Identität um den<br />
Rahmen, innerhalb dessen wir uns fragen, wer wir sind, <strong>und</strong> in dem wir uns<br />
vornehmlich moralische, also evaluative, Antworten auf diese Frage geben. Wir<br />
können, wie er sagt, mit dieser Frage gar nicht an<strong>der</strong>s als wertend umgehen.<br />
Allerdings: anhand welcher Bedeutungen <strong>und</strong> signifikanten Wegweiser wir uns<br />
(<strong>und</strong> an<strong>der</strong>e) orientieren, ist historisch, sozial, o<strong>der</strong>, wie manche sagen würden,<br />
kulturell spezifisch. Das Bedürfnis nach Identität hat zu tun mit einer unweigerlich<br />
evaluativen Ausrichtung auf die Lage o<strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> wir uns befinden.<br />
Raum <strong>und</strong> Ort nehmen dabei eine zentrale Bedeutung ein, nicht nur als physische<br />
Faktoren, son<strong>der</strong>n als interpretative Parameter, durch die wir artikulieren, wer<br />
wir sind <strong>und</strong> wo wir stehen (vgl. Taylor 1996: 28f.).<br />
<strong>Kern</strong> <strong>und</strong> <strong>Rand</strong> sind ähnlich wie <strong>Zentrum</strong> <strong>und</strong> Peripherie auch Raster, durch<br />
die Orte interpretiert o<strong>der</strong> Positionen artikuliert werden. Das heißt allerdings<br />
auch, daß ein Ort, <strong>der</strong> für mich o<strong>der</strong> für ein Kollektiv "<strong>Zentrum</strong>" ist, für an<strong>der</strong>e<br />
"<strong>Rand</strong>" sein kann, o<strong>der</strong> umgekehrt. Das heißt weiterhin ganz banal, daß es we<strong>der</strong><br />
einen Ort des "<strong>Zentrum</strong>s" noch des "<strong>Rand</strong>es" per se gibt, son<strong>der</strong>n nur insoweit<br />
sie als solche interpretiert <strong>und</strong> in Beziehung gesetzt werden.<br />
Im Zusammenhang mit Migration <strong>und</strong> Wan<strong>der</strong>ung nach Deutschland scheint<br />
mir für alle Beteiligten die Frage des Ortes <strong>und</strong> <strong>der</strong> kulturellen Identifizierung<br />
von Raum wichtig zu sein - nicht nur für die Wan<strong>der</strong>nden selbst, son<strong>der</strong>n auch<br />
für die Zurückbleibenden <strong>und</strong> die in Deutschland Ansässigen.<br />
In den politischen Migrationsdebatten in Deutschland zeigt sich zum einen,<br />
daß das nationale Territorium mit kultureller Uniformität assoziiert wird, <strong>und</strong><br />
zum An<strong>der</strong>en, daß eben jene Monokultur einen unverän<strong>der</strong>lichen Anspruch auf<br />
Eigentum an diesem Territorium beansprucht. Auf dieser Basis funktioniert<br />
sowohl das beharrlich fortgeführte Insistieren auf voneinan<strong>der</strong> klar trennbaren<br />
"Inlän<strong>der</strong>n" <strong>und</strong> "Auslän<strong>der</strong>n" als auch die Bestimmung des Raumes "Deutschland"<br />
als bewohnt von Dazugehörenden einerseits <strong>und</strong> Fremden an<strong>der</strong>erseits. In<br />
diesem Zusammenhang ist uns die Metapher von <strong>Rand</strong> <strong>und</strong> <strong>Kern</strong> nicht fremd.<br />
"Auslän<strong>der</strong>" sind nicht selten als "<strong>Rand</strong>gruppe" kategorisiert, was wahlweise<br />
Assoziationen von weniger wichtig, min<strong>der</strong>-privilegiert o<strong>der</strong> sozial problema-