Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Der türkische Nationalisierungsprozeß <strong>und</strong> <strong>der</strong> Laizismus<br />
-landesweite Organisation von Bildung <strong>und</strong> Erziehung,<br />
-Rechtsprechung <strong>und</strong> Verwaltungsaufgaben.<br />
Die Beratungsaufgaben in religiösen <strong>und</strong> rechtlichen Angelegenheiten erfüllte <strong>der</strong><br />
Scheich ül-Islam in Zusammenarbeit mit den Muftis, während Bildung <strong>und</strong><br />
Erziehung in den Aufgabenbereich <strong>der</strong> Mü<strong>der</strong>ris (Medrese-Professoren) gehörten.<br />
Die Rechtsprechung <strong>und</strong> Verwaltungsarbeit erfolgte durch die Kadis. Der Scheich<br />
ül-Islam war für die Bestimmung <strong>und</strong> Beför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Mü<strong>der</strong>ris <strong>und</strong> <strong>der</strong> Kadis<br />
zuständig, wobei diese Aufgaben von einem großen Stab von Sekretären<br />
übernommen wurden, die <strong>der</strong> Institution des Scheich ül-Islam angehörten. Wichtig<br />
ist zu bemerken, daß das Amt des Scheich ül-Islam niemals in den oberen Instanzen<br />
des politischen Apparates angesiedelt war <strong>und</strong> bis zum 19. Jahrh<strong>und</strong>ert auch nicht<br />
zum Divan (gleichbedeutend mit dem heutigen Ministerrat) gehörte.<br />
Wenn wir von <strong>der</strong> allgemeineren Definition des Laizismusbegriffs, nämlich <strong>der</strong><br />
Trennung von Staat <strong>und</strong> Religionsangelegenheiten <strong>aus</strong>gehen, so weisen die bereits<br />
genannten Kriterien auf einen wesentlichen Unterschied zu <strong>der</strong> Entwicklung hin,<br />
die im Westen stattgef<strong>und</strong>en hat. Während die Reorganisation des Verhältnisses<br />
zwischen Staat <strong>und</strong> Religion im Westen eine Reorganisation des Verhältnisses von<br />
zwei bereits vorher getrennt voneinan<strong>der</strong> existierenden Autoritäten war, bedeutet<br />
Laizismus in <strong>der</strong> osmanisch-türkischen Gesellschaft, daß ein Glied des<br />
Staatsapparates abgetrennt, ein Teil des Staates von <strong>der</strong> Regierung <strong>aus</strong>geschlossen<br />
wird. Dies ist <strong>der</strong> Hauptaspekt für den problematischen Charakter <strong>der</strong> weiteren<br />
Entwicklung.<br />
Laizismus im Osmanischen Reich<br />
Bei diesem Prozess müssen zwei Aspekte geson<strong>der</strong>t behandelt werden. Es geht auf<br />
<strong>der</strong> einen Seite um Schritte in Richtung Trennung von Staat <strong>und</strong> Religion, auf <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Seite um einen Prozeß <strong>der</strong> Säkularisierung <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />
Innerhalb <strong>der</strong> osmanischen Staatsorganisation bestand von Anfang an ein<br />
bürokratischer Apparat außerhalb <strong>der</strong> religiösen Bürokratie. Es gab drei Säulen des<br />
Staatsapparates, den Sultan (Palast), die Ulema <strong>und</strong> die Staatsbeamten, die nichts<br />
mit den religiösen Angelegenheiten zu tun hatten. Die Bürokratie außerhalb <strong>der</strong><br />
Ulema rekrutierte sich hauptsächlich <strong>aus</strong> durch die Knabenerhebung auf dem<br />
Balkan zu Moslems gewordenen Personen. Sie waren in Palast-Schulen <strong>aus</strong>gebildet<br />
worden <strong>und</strong> waren dem Sultan streng ergeben. Die Verwaltung baute auf einem<br />
Gleichgewicht zwischen <strong>der</strong> religiösen <strong>und</strong> dieser dem Sultan untergebenen<br />
Bürokratie auf, wobei sich die Balance von Zeit zu Zeit zur einen o<strong>der</strong> zur an<strong>der</strong>en<br />
Seite verschieben konnte.<br />
Mit dem Beginn <strong>der</strong> Zerfalllsperiode des osmanischen Reiches kam es zu<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen diesen beiden Institutionen. Die Hauptfrage war,<br />
was die Gründe für den Zerfall des Reiches waren <strong>und</strong> wie <strong>der</strong> Staat noch zu retten<br />
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