Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
156<br />
Gaby Straßburger<br />
<strong>aus</strong>gehen, daß es den Eltern, die einen Partner <strong>aus</strong> dem Herkunftsort bevorzugen,<br />
nicht so sehr um den Wohnort an sich geht, son<strong>der</strong>n vielmehr darum, die<br />
Beziehungen zu den dort lebenden Verwandten <strong>und</strong> Bekannten aufrecht zu<br />
erhalten. Eheschließungen gelten in diesem Sinn als ein Mittel, das <strong>der</strong><br />
Vertiefung bestehen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Knüpfung neuer Allianzen dient.<br />
Hingegen sind die interviewten Vertreter <strong>der</strong> zweiten Generation an <strong>der</strong><br />
Aufrechterhaltung dieser Herkunftsbeziehungen weit<strong>aus</strong> weniger interessiert.<br />
Am stärksten scheinen noch diejenigen ein eigenes Interesse daran zu hegen, die<br />
planen, in die <strong>Türkei</strong> zurückzukehren. Ansonsten erhält man den Eindruck, daß<br />
in den letzten Jahren eine Präferenzverschiebung innerhalb <strong>der</strong> zweiten<br />
Generation stattfand, die sich vermutlich damit erklären läßt, daß es sich bei<br />
denjenigen, die Mitte <strong>der</strong> neunziger Jahre heiraten, in zunehmendem Maß um<br />
Personen handelt, die in Deutschland geboren sind <strong>und</strong> nie in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> gelebt<br />
haben, so daß sie einen an<strong>der</strong>en Bezug zum Herkunftsort ihrer Familie haben als<br />
diejenigen, die ihre Kindheit <strong>und</strong> Teile ihrer Jugend dort verbracht haben. In den<br />
achtziger Jahren stellte dagegen die Kulturanthropologin Anita Böcker (1994a;<br />
1994b; 1995a; 1995b) in Nijmegen fest, daß die "Zwischengeneration", die als<br />
Kin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Jugendliche mit ihren Eltern in die Nie<strong>der</strong>lande migriert war,<br />
<strong>aus</strong>schließlich Partner <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> geheiratet hatte, wobei <strong>aus</strong> Böckers<br />
Ausführungen hervorgeht, daß es sich dabei in erster Linie um Verwandte <strong>und</strong><br />
Bekannte <strong>aus</strong> dem Herkunftsort handelt.<br />
Auch die Partnerwahl von Kibriyes ältestem Bru<strong>der</strong> ist typisch für das Heiratsverhalten<br />
dieser spät eingewan<strong>der</strong>ten zweiten Generation. Er hat bis zu<br />
seinem dreizehnten Lebensjahr in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> gelebt <strong>und</strong> später seine Cousine<br />
geheiratet, die er vermutlich schon als junges Mädchen gekannt hat.<br />
Es fällt auf, daß sich nicht nur bei den jüngeren Vertretern <strong>der</strong> zweiten Generation<br />
Verschiebungen <strong>der</strong> Partnerpräferenzen beobachten lassen, son<strong>der</strong>n daß<br />
auch in <strong>der</strong> ersten Generation Verän<strong>der</strong>ungen zu konstatieren sind, die auf eine<br />
nachlassende Bedeutung <strong>der</strong> Herkunftsbezüge schließen lassen. So wurde<br />
mehrmals berichtet, daß Eltern nur bei den älteren Kin<strong>der</strong>n eine Ehe mit einem<br />
Partner <strong>aus</strong> dem Herkunftsort arrangierten, während sie, als weitere Kin<strong>der</strong> ins<br />
Heiratsalter gekommen waren, davon bereits Abstand genommen hatten. Dieses<br />
Muster ist auch in dem geschil<strong>der</strong>ten Fallbeispiel zweimal anzutreffen. Sowohl<br />
in Kibriyes als auch in Kenans Familie haben jeweils die ältesten Söhne eine<br />
Cousine <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> geheiratet, während für die zweitältesten Söhne in <strong>der</strong><br />
Migrantenbevölkerung nach einer Frau gesucht, <strong>und</strong> damit von einer<br />
Eheschließung innerhalb <strong>der</strong> Dorfgemeinschaft abgesehen wurde.<br />
Eine weitere Entwicklung ist in einem von AyÕe Ça—lar (1995: 319) geschil<strong>der</strong>ten<br />
Fall impliziert, in dem Migranten für ihre Kin<strong>der</strong> eine Ehe mit Nachbarn<br />
<strong>aus</strong> dem Ferienort an <strong>der</strong> türkischen Westküste arrangieren. Auch hier zeigt sich<br />
eine Verschiebung von Wertigkeiten, die eine zunehmende Distanz zur