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Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...

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Sigrid Nökel<br />

Etwa mit dem Eintritt in die Pubertät o<strong>der</strong> kurz davor, also in einer Phase, in<br />

<strong>der</strong> die soziale "Produktion von Weiblichkeit" einsetzt, verb<strong>und</strong>en mit <strong>der</strong><br />

Anpassung an eine männlich dominierte Kultur (Brown/Gilligan 1994; Debold/<br />

Wilson/Malavé 1996), tritt eine Lehrerin in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Sie macht sie<br />

sozusagen gesellschaftsfähig <strong>und</strong> leitet sie an. Für Ayla scheint es zunächst eine<br />

über das bloß Funktionale hin<strong>aus</strong>gehende Beziehung gewesen zu sein. Die<br />

Lehrerin ist eine Art Ersatzmutter, vermittelt ihr weibliche Identität <strong>und</strong><br />

übernimmt eine Funktion, die eher <strong>der</strong> Mutter zukommt. Indes ist die eigene<br />

Mutter nicht nur in <strong>der</strong> aufgeführten Passage, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> gesamten Erzählung<br />

abwesend bzw. kopräsent. Auch <strong>der</strong> Nachfrageteil för<strong>der</strong>t nur Fragmentarisches<br />

zutage. So ist zu erfahren, daß Ayla ihr jedes Mal Bescheid sagt, mit wem sie<br />

abends weg ist <strong>und</strong> wann sie zurückkommt, daß sie sie, wenn sie es ihr nicht<br />

gesagt hat, telefonisch benachrichtigt, wenn es auch nur fünf Minuten später<br />

wird. Dem heranwachsenden Mädchen hat sie vergeblich versucht, das Beten<br />

während <strong>der</strong> Fastenzeit beizubringen. Sie näht <strong>und</strong> trägt Kopftuch. Aus diesen<br />

spärlichen Angaben setzt sich kein persönliches Bild zusammen. Auch die Art<br />

<strong>der</strong> Beziehung zwischen Mutter <strong>und</strong> Tochter bleibt im Dunklen. Sie scheint<br />

jedoch, wie sich vermuten läßt, <strong>aus</strong> gegenseitiger Achtung zu bestehen, denn<br />

Ayla begründet ihre Angewohnheit, verspätetes Heimkehren anzukündigen<br />

damit, daß die Mutter sich Sorgen mache. An an<strong>der</strong>er Stelle erzählt sie, daß sie,<br />

die den Tschador ablehnt, einmal mit dem Gedanken gespielt habe, einen<br />

knallroten zu tragen; den hätte ihr die Mutter nähen können. Aber es ist auch<br />

keine durchgängig harmonische Beziehungen. So führt sie an, daß sie "immer<br />

noch Respekt vor (ihren) Eltern", auch "ziemlich frei gegenüber an<strong>der</strong>en<br />

türkischen Mädchen" sei, wobei es allerdings welche gebe, "die sind viel freier<br />

als ich; die sind auch Kopftuchträgerinnen ..., die können alles machen was sie<br />

wollen". Anschließend deutet sie an, daß es so etwas wie eine Zeit <strong>der</strong> Revolte<br />

gab <strong>und</strong> sie führt etliche Situationen an, in denen sie ihre Eltern - hier taucht die<br />

Mutter, wie bei vielen an<strong>der</strong>en Erzählerinnen auch, im Paar unter - zwang,<br />

"aufzugeben". Bei diesen Ausführungen gähnt sie, wie um k<strong>und</strong>zutun, daß dieses<br />

banale Thema sie nicht son<strong>der</strong>lich beschäftigt. Was ihr wichtig ist, so <strong>der</strong><br />

Gr<strong>und</strong>tenor, setzt sie, die jetzt, was sie betont, immerhin 21 Jahre alt ist, sowieso<br />

durch <strong>und</strong> in den Nebensachen arrangiert sie sich eben. Sehr wichtig ist ihr<br />

allerdings auch ihre Familie, die bei ihr <strong>der</strong> Gegenpart zum agonalen Draußen<br />

ist.<br />

Vergleicht man die verschiedenen Erzählungen, so fällt die überwiegende<br />

Nichtpräsenz <strong>der</strong> Mutter auf. Einige Frauen erzählen <strong>aus</strong>führlich über die<br />

Mutter. Das läßt auf eine intensive Kommunikation schließen trotz <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Lebenslagen. Aber ganz klar erscheint auch die Rehabilitationsabsicht,<br />

indem dezidiert <strong>der</strong> Unterschied her<strong>aus</strong>gearbeitet wird zwischen "dem<br />

Bild von <strong>der</strong> türkischen bzw. muslimischen Frau" <strong>und</strong> <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Person.<br />

Selten sind <strong>aus</strong>gesprochen matrophobische Tendenzen. Die Frage ist, wie diese

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