Kern und Rand. Religiöse Minderheiten aus der Türkei - Zentrum ...
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Heidi Armbruster<br />
kollektivieren<strong>der</strong> Identität, die in <strong>der</strong> syrisch-christlichen Kultur eine beson<strong>der</strong>e<br />
Rolle spielt. Ich führe das auch auf die lange "Krisenerfahrung" syrischer<br />
Christen in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong> zurück, in <strong>der</strong> die Bedrohung <strong>der</strong> Gruppe von außen eine<br />
kollektive innere Bindung beson<strong>der</strong>s notwendig machte. Der syrisch-orthodoxe<br />
Selbstentwurf von Geschichte steht im Zeichen des Leids <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bedrängung<br />
von außen <strong>und</strong> <strong>der</strong> bindenden Religiosität nach innen. Ich argumentiere<br />
weiterhin, daß dies eine Form des Selbstverständnisses ist, mit dem viele<br />
Syrisch-Orthodoxe Christen auch auf ihre Migration reagieren, die ein<br />
bedeutendes Ereignis ihrer jüngeren Geschichte ist. Die Dynamik zwischen<br />
innen <strong>und</strong> außen, hier <strong>und</strong> dort, früher <strong>und</strong> heute, die sich in <strong>der</strong> Migrationserfahrung<br />
auf beson<strong>der</strong>s komplexe Weise abspielt, manifestiert sich für viele<br />
syrisch-christliche Immigranten in einer Krise des "H<strong>aus</strong>es" <strong>und</strong> im Verlust <strong>der</strong><br />
Gruppe schlechthin. Für sie ist es auch eine Krise von Geschichte, denn für die<br />
hier geborene Generation ist <strong>der</strong> Tur Abdin kein Erinnerungsträger mehr.<br />
Die folgende Darstellung ist keineswegs allumfassend, son<strong>der</strong>n bezieht sich<br />
vor allem auf die erste Generation von Immigranten <strong>und</strong> ihre in <strong>der</strong> <strong>Türkei</strong><br />
verbliebenen Angehörigen.<br />
Syrisch-Orthodoxe Christen in Deutschland<br />
Innerhalb <strong>der</strong> syrischen Kirche gibt es unterschiedliche Konfessionen, die<br />
Mehrheit <strong>der</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Südosttürkei stammenden syrischen Christen gehört<br />
allerdings <strong>der</strong> syrisch-orthodoxen Kirche an. Ich verwende "syrische Christen"<br />
o<strong>der</strong> "syrisch-orthodoxe Christen" alternierend, ohne einen Unterschied damit zu<br />
meinen. Ich verwende auch den Begriff "Suryoyo" (pl. Suryoye), die Selbstbezeichnung<br />
<strong>der</strong> Gruppe im Aramäischen. 1 Suryoyo heißt eigentlich "Syrer", die<br />
konventionelle Bedeutung von Suryoyo ist jedoch "Christ". Das hängt mit <strong>der</strong><br />
historischen Periode ab dem 1. bis 2. Jahrh<strong>und</strong>ert zusammen, in <strong>der</strong> sich das<br />
Christentum in den östlichen Mittelmeerraum <strong>und</strong> nach Nordmesopotamien<br />
verbreitete, <strong>und</strong> mit dem Aramäischen (auch Syrisch, "Suryoyo" genannt), das<br />
sich damals als lingua franca eben jener zum Christentum konvertierten<br />
Bevölkerungen etablierte. Syrisch wurde zum literarischen Medium einer frühen<br />
christlichen Kultur des Nahen Ostens, <strong>und</strong> die "Syrer" waren jene Leute, die<br />
dieser Kultur angehörten. Die Selbstbezeichnung "Suryoyo" bezieht sich also auf<br />
diese historische Situation <strong>und</strong> hat mit <strong>der</strong> Zugehörigkeit zum mo<strong>der</strong>nen Staat<br />
Syrien nichts zu tun.<br />
Es gibt auch eine umfangreiche außereuropäische Emigration, die ich hier<br />
aber vernachlässige. In Europa leben etwa 90 000 syrische Christen, ungefähr<br />
die Hälfte davon in <strong>der</strong> BRD. Im Tur Abdin ist die Zahl auf ca. 3000 Personen<br />
gesunken. In Istanbul leben heute etwa 10 000 (vgl. Merten 1997).