pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
118<br />
___________________________________________________________<br />
Weise - was auch immer sich der einzelne darunter vorstellen mag - zu leben.<br />
Dasselbe gilt für französische, belgische oder italienische Liberale entsprechend.<br />
Der Liberale will zuallererst Kosmopolit sein, und wenn er deutsch ist,<br />
leidet er besonders darunter, vielleicht nicht genug Weltbürger zu sein, und<br />
macht das durch überbetonten Internationalismus wett.<br />
Jedes politische und gesellschaftliche System gibt Antworten nur auf ganz<br />
bestimmte, als drüc??kend empfundene Fragen. Wo das eine Konzept seine<br />
Stärken hat, weist das andere Lücken auf. Eine Herrschaftsordnung, die alle<br />
denkbaren Probleme in gleich befriedigenderer Weise zu lösen vermöchte, hat<br />
es noch nicht gegeben. So gibt auch der Liberalismus nur Antworten für Menschen<br />
mit ganz spezifischen Interessen und nur auf ganz bestimmte Fragen;<br />
andere Probleme nimmt er als solche überhaupt nicht wahr. Funktionell ist der<br />
typisch liberale ökonomische Reduktionismus nichts weiter als die Herrschaftsideologie<br />
der ökonomisch Starken gegenüber den ökonomisch<br />
Schwachen. Sie redet ihnen ein, das freie Walten rein ökonomischer Gesetze<br />
führe auch zu ihrem Vorteil, und diesen Vorteil sieht er ausschließlich im Geldverdienen:<br />
So bezeichnet Fukuyama ihn ganz richtig als dasjenige<br />
"Regelsystem, in dem das materielle Eigeninteresse und die Anhäufung von<br />
Reichtum als legitim gelten." 417<br />
Überdies verharrt er als historisch bedingte Antwort des Bürgertums des 19.<br />
Jahrhunderts in einer naiven Animosität gegen alles Staatliche, was als situationsbezogene<br />
Reaktion auf die vergangene Zeit des Fürstenabsolutismus auch<br />
einmal sinnvoll gewesen war. Alles liberale Pathos richtet sich rein destruktiv<br />
gegen das, was der Liberale als Einengung seines persönlichen Freiraumes<br />
empfindet, 418 aber nie konstruktiv auf eine Sache. Der Liberale ist ein Wesen<br />
der Negation: Er will die Abwesenheit von staatlicher Zensur, die Aufhebung<br />
strafrechtlicher Verbote wie dem der Majestätsbeleidigung, der Kuppelei, der<br />
Homosexualität, der Unzucht mit Kindern, der Abtreibung, des Ehebruchs.<br />
Dagegen ist es noch keinem Liberalen gelungen, einmal positiv zu bestimmen,<br />
wofür er eigentlich eintritt außer für seinen Anspruch, ungehemmt seinen<br />
Eigeninteressen nachzugehen. Der Liberalismus und seine Inkarnationen, die<br />
Marktwirtschaft und der Parlamentarismus, sind Antworten auf Fragen von vorgestern,<br />
nämlich als übermächtig empfundene staatliche Machtentfaltung. Sein<br />
Rezept erschöpft sich in der Stereotype, den Staat möglichst machtlos und gering<br />
zu halten. Weil aber ohne Schutz eines neutralen Staates der Starke immer<br />
417 Fukuyama, Die Zukunft des Krieges, FAZ-Magazin 16.12.1994, S.16 ff. (17).<br />
418 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.70.