pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
___________________________________________________________<br />
Wie die Hohepriester aller Religionen Sündenböcke brauchen, benötigt der<br />
liberale Staat den seinen: Es ist der sogenannte Neonazi. Ob jemand Neonazi<br />
ist, bestimmt er freilich ebensowenig selbst wie irgendein anderer historischer<br />
Sündenbock. Heute bestimmen die Massenmedien nach ihren Bedürfnissen,<br />
wer Neonazi ist. Vor den Richterstühlen der modernen Dreifaltigkeit aus<br />
Fernsehmoderatoren, Staatsparteien und Verfassungsschutz gilt wieder das<br />
Wort Friedrichs des Großen: "Wir haben hier eine Sekte Seeliger, die den Presbyterianern<br />
in England ausgesprochen ähnelt und sogar noch unerträglicher ist,<br />
weil sie in strenger Rechtgläubigkeit ohne Einspruchsrecht alle jene der Verdammung<br />
überantwortet, die nicht ihre Ansichten teilen." 361 Damit hatte er auf<br />
Voltairs Satz geantwortet: "Es wird eines Ihrer größten Geschenke an die<br />
Menschheit sein, wenn Sie Aberglauben und Fanatismus unter Ihren Sohlen<br />
zertreten, nicht zulassen, daß ein Mensch in Robe andere Menschen verfolgt,<br />
die nicht so denken wie er." 362<br />
Der Liberalismus mußte zwangsläufig totalitär werden, sobald eine wachsende<br />
und nicht mehr ohne weiteres beherrschbare Zahl seiner Untertanen mit<br />
ihren Interessen in Konflikt zu den Interessen derjenigen kam, welche durch<br />
den liberalen Status quo bevorzugt werden. Die liberale Auffassung vom Staat<br />
als großem Betrieb führt zur Öffnung der Grenzen und zur Privatisierung<br />
wichtiger Lebensbereiche wie demjenigen der öffentlichen Sicherheit,<br />
widerspricht aber den Bedürfnissen vieler Bürger. Die Beispiele ließen sich beliebig<br />
vermehren. Dem Pochen von immer mehr Bürgern auf gegen den Liberalismus<br />
gerichteten persönlichen und nationalen Interessen kann dieser nur noch<br />
damit begegnen, daß er es als ketzerisch brandmarkt, seine Abweichler<br />
stigmatisiert oder als Neonazis dämonisiert. Der Kultus der Staatsreligion Liberalismus<br />
mit seinen von Pastoren angeführten Lichterketten und Betroffenheitsriten,<br />
seinen Tabuzonen und Exorzismen wird sich allerdings nur halten<br />
können, wenn es dem Liberalismus gelingt, die Anzahl seiner Gegner rechtzeitig<br />
durch Masseneinwanderung in die Minorität zu drängen und weiterhin<br />
sozial und politisch auszuschalten.<br />
361 Brief an Voltaire vom 14.5.1737.<br />
362 Voltaire an Friedrich im April 1737.<br />
97