pdf-Version - Klaus Kunze
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anschauung ist in ihrem funktionalen Kern Herrschaftsideologie und kann<br />
daher nur verstanden werden, wenn sie in ihrer konkreten historischen Lage, 28<br />
und jede einzelne politische Begrifflichkeit, wenn sie in ihrer situationsbedingten<br />
polemischen Funktion erfaßt wird. 29 "Da keine zeitgenössische Partei ohne<br />
ein System von philosophischen oder spekulativen Grundsätzen, die sie an ihre<br />
politischen und praktischen anschließt, auskommt, so finden wir, daß jede dieser<br />
Parteien, in die die Nation gespalten ist, ein solches Lehrgebäude errichtet<br />
hat, um ihre Absichten und Handlungen abzuschirmen." 30 "Jedes politische<br />
System braucht seine Systemideologie, um damit die bestehende Form der<br />
Herrschaft und der Machtausübung zu legitimieren." 31 Das gilt für alle Gesellschaftsformationen.<br />
Das vielfach proklamierte Ende der Ideologien ist bloßer<br />
Bestandteil ihres eigenen ideologischen Selbstverständnisses. 32<br />
Die Requisitenkammern menschlicher Phantasie bersten von Glaubenslehren<br />
und hochtönenden Worthülsen, die sich, wenn sie nicht schon eigens zur<br />
Stabilisierung der Herrschaft konkreter Menschen ersonnen wurden, doch bestens<br />
dazu eignen. Kluge Gesetzgeber lassen nicht nur die guten Gründe ihres<br />
Werkes für sich sprechen, sondern nehmen zur Gottheit ihre Zuflucht, weil ihre<br />
Gesetze dann leichter angenommen werden. 33 So herrschen unter Berufung auf<br />
göttliches oder Naturrecht bequem diejenigen, die jeweils die Definitionsmacht<br />
besitzen, welche konkreten Forderungen der angebetete Gott an die Beherrschten<br />
richtet oder welchen konkreten Inhalt das Naturrecht angeblich hat. 34 Die<br />
normativistische Fiktion läßt ihren Interpreten getarnt im Hintergrund und soll<br />
seine Macht über diejenigen rechtfertigen, die an seine Normen glauben. Der<br />
Glaube an ewige Götter hat den Angebeteten selbst nur Psalmenschall und Opferrauch<br />
gebracht; den Managern ihres Kultes aber gewöhnlich soziale Privilegien<br />
und eine stabile Herrschaft. Selbst im Kultus der Gleichheit - dem Sozialismus<br />
- waren bekanntlich die Funktionäre "gleicher" als die anderen.<br />
Nach dem Verfall der geschlossenen ideologischen und religiösen Weltbilder<br />
setzen wir jedem Pochen auf angeblich höheres Recht oder auf eine metaphysische<br />
Gerechtigkeit die soziologische Frage entgegen: Wem konkret nützt<br />
28 Vgl. Kondylis, Konservativismus, S.16.<br />
29 Kondylis, Macht und Entscheidung, S.50 ff., 99.<br />
30 David Hume, Of the Original Contract, zit. nach David Levy, Criticón 1980,4.<br />
31 Rüthers, Ideologie und Recht im Systemwechsel, S.47.<br />
32 Kondylis, FAZ 21.12.1994.<br />
33 Machiavelli, Discorsi, I.Buch, 11. Kapitel, S.45.<br />
34 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, S.66.<br />
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