pdf-Version - Klaus Kunze
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Person; es schützt und erhält vielmehr zunächst den 'Feind' und verdient daher<br />
selbst bekämpft zu werden. [...] Es erscheint nunmehr als Schutzschild und<br />
Waffe des jeweiligen Gegners." In Händen der Partei, die an den Schalthebeln<br />
des Staats sitzt, wird es dann zwar bewußt mißbraucht, aber moralisch hoch erhobenen<br />
Hauptes; und die andere Seite wird bald einem Recht die Loyalität<br />
verweigern, das zu offenkundig nur als Kampfinstrument zu ihrer<br />
Niederhaltung eingesetzt wird - und sie wird ihre eigene Moral behaupten. Die<br />
formelle Akzeptanz des Rechts setzt nämlich voraus, daß alle Normadressaten<br />
den uneingeschränkten Schutz der anderen auch wirklich wollen. 200 Genau das<br />
meinte Rousseau, wenn er schrieb: "Es ist unmöglich, mit Leuten, die man für<br />
verdammt hält, in Frieden zu leben." 201 "Der eigentliche 'Feind' ist daher nicht<br />
der Kriminelle, der einzelne Regeln bricht, das System als solches aber akzeptiert,<br />
sondern der Ketzer und Revolutionär, der untergeordnete Regeln durchaus<br />
unangetastet läßt, jedoch das soziale System in seinem Zentralpunkt angreift,<br />
indem er seine Sinnhaftigkeit anzweifelt." 202<br />
Die Entwicklung der vergangenen Jahre brachte den Bürgern in Deutschland<br />
daher kein Mehr an Freiheit, als Liberale den Staat zunehmend demontierten. 203<br />
"In dem Maß, wie das Individuum sich gegen den Staat ausspielen ließ, [...] geriet<br />
es unter die Herrschaft der Verbände, die seinen Spielraum sehr viel enger<br />
zogen, und zerfiel vor dem Druck eines neuen Verbandskollektivismus, dem es<br />
sich fügte, weil der einzelne Mensch in der Gesellschaft nicht ohne Schutz existieren<br />
kann." 204 So näherte sich unsere Verfassungswirklichkeit wieder ihrem<br />
mittelalterlichen Ausgangspunkt an und wurde von Scheuch treffend als<br />
feudales Postenverteilungssystem bezeichnet. Die alten Gegner des<br />
neutralisierenden Staates sind als "gesellschaftliche" Machtgruppen wie<br />
Parteien und Verbände wieder auf den Plan getreten und haben sich auf dem<br />
Wege über das Parlament aller Staatsgewalten bemächtigt.<br />
Der nur vom Staat als überparteilicher Kraft zu garantierende Schutz der<br />
Privatsphäre und der Freiheitsrechte wurde so dem "freien" Kräftespiel<br />
unsichtbarer gesellschaftlicher Mächte ausgeliefert, die vom einzelnen wohl<br />
Gehorsam fordern, ihn aber nur bedingt schützen können und wollen. So wurde<br />
aus dem Dualismus von Staat und staatsfreier Gesellschaft ein sozialer Pluralis-<br />
200 Braun, Recht und Moral im pluralistischen Staat,JuS 1994, S. 730 f.<br />
201 Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, S.155.<br />
202 Krockow, Die Entscheidung, S.142.<br />
203 Ebenso Maschke, Criticón 1985,153 (154).<br />
204 Sander, Criticón 1976, 213 (215).<br />
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