pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
46<br />
___________________________________________________________<br />
und staatlichen Institutionen mit ihren Eigengesetzlichkeiten zu. Hier kommt -<br />
im Gegensatz zum Liberalismus - der Gemeinschaft der Vorrang vor dem Einzelnen<br />
zu; er ist ihr teils untergeordnet, teils eingeordnet. 191 Somit führt die<br />
Auflösung der Dialektik von Staat und Gesellschaft zugunsten des Staates zur<br />
Verstaatlichung der Gesellschaft und zur Wiederkehr eines Staatsabsolutismus.<br />
Und vor der anderen Möglichkeit der Vergesellschaftung des Staates warnt<br />
Lorenz von Stein, indem er am Endpunkt dieses Prozesses den "Tod der Gemeinschaft"<br />
sieht: "Es gibt keine vollendeten Völker, aber es gibt wohl tote<br />
Völker. Das sind diejenigen, in denen es keinen Staat mehr gibt [...], in denen<br />
die Staatsgewalt absolut in den Händen der Gesellschaft ist." 192<br />
Das Mittelalter hatte eine Trennung von Staat und Gesellschaft nicht gekannt:<br />
In der eigentümlichen Form des Lehnsstaats, des sog. Feudalismus, war<br />
alles "Gesellschaft". Zwischen König und Vasall, Vasall und Untervasall bis<br />
hin zum fronenden Bauern waren alle Rechtsverhältnisse rein personaler Natur<br />
und endeten mit dem Tode ihrer Träger. Die Lehnspyramide war ein Rechtsgefüge,<br />
das auf Verpflichtungen zwischen Personen beruhte. Ein "Staat" war<br />
nicht vorgesehen. Nach der Krönung eines Königs in Deutschland hatten die<br />
Reichsstädte nichts Eiligeres zu tun, als diesem seine persönliche Bestätigung<br />
ihrer Rechte und Freiheiten abzubitten. Was gingen ihn auch die Versprechungen<br />
seines Vorgängers an? Ein Staat als überpersönliche Rechtsfigur im<br />
abstrakten Sinne wie heute existierte nicht. Für jeden einzelnen hatte das die<br />
praktische Konsequenz, daß er in einen hierarchischen Gesellschaftsaufbau<br />
streng eingebunden blieb. Im Normalfall hatte er keine Chance, seinem<br />
Geburtsstand zu entkommen. Niemand schützte den fronenden Bauern vor der<br />
Willkür seines Grundherrn, und wer gegen die Übermacht eines anderen Schutz<br />
benötigte, konnte den nur in eigener Kraft finden oder sich einer mächtigen<br />
Gruppe anschließen, die ihn schützen sollte. So schloß man sich zu sozialen<br />
Verbänden zusammen und wurde Bürger einer Stadt, Kaufmann in einer Gilde<br />
oder auch Räuber in einer Bande. In diesen gesellschaftlichen Teilgruppen fand<br />
der einzelne Schutz, aber um den Preis der Unterordnung. Freiheit im Sinne der<br />
heutigen Grundrechte, Bürgerrechte oder die Sicherheit einer privaten Existenz<br />
in unserem Sinne gab es nicht.<br />
Die Neuentdeckung des Staates im Sinne der antiken Res publica war die<br />
Leistung der frühen Neuzeit. Er wurde als vom persönlichen Herrscher unabhängig<br />
und immerwährend vorgestellt und bildete eine abstrakte, weil nicht<br />
191 Stein, Verfassungsgerichtliche Interpretation der Grundrechte, S.83 (85).<br />
192 Lorenz von Stein, zit. nach <strong>Klaus</strong> Hornung, a.a.O., Criticón 1980,58.