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pdf-Version - Klaus Kunze

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Rechtsamkeit und Neutralität gefunden. Dennoch brachte auch ein jeder seine<br />

persönlichen politischen und ideologischen Grundwerte in die Entscheidungen<br />

ein, welche auch sonst? Nun ist das Bundesverfassungsgericht nicht berufen,<br />

die bloß formell richtige Auslegung des einfachen Gesetzesrechts nachzuprüfen.<br />

Vielmehr soll es die Gesetzgebung gerade insoweit kontrollieren, als sie einen<br />

politischen Akt darstellt, und zwar auf Übereinstimmung mit der im<br />

Grundgesetz niedergelegten materiellen Wertordnung.<br />

Durch diese Kontrolle soll verhindert werden, daß der demokratische<br />

Rechtsstaat zur Diktatur der Parlamentsmehrheit pervertiert wird. 297 Indessen<br />

kann eine wertgebundene, mit anderen Worten ideologische, Kontrolle der Parlamentsentscheidungen<br />

nur das Perpetuum mobile einer sich immerwährend<br />

selbst reproduzierenden Herrschaft auf Grundlage einer homogenen Herrschaftsideologie<br />

gewährleisten und erfüllt damit eine eminent systemstabilisierende<br />

Funktion. Materiell wird durch die angewandte Richterwahlprozedur<br />

sichergestellt, daß immer wieder Juristen aus einer weltanschaulich verhältnismäßig<br />

einheitlichen Personengruppe Verfassungsrichter werden und nur immer<br />

das System auf Einhaltung seiner eigenen Spielregeln überwachen können. So<br />

gesehen, darf die "gewaltenteilende" Funktion des Gerichts nicht dahingehend<br />

mißverstanden werden, unter seinem Schirm könnte etwa eine grundsätzlich<br />

andere weltanschauliche oder politische Richtung richterlichen Schutz suchen,<br />

als sie von den Bundestagsparteien sonst vertreten wird. Eine weltanschauliche<br />

Gleichschaltung aufgrund einer Parlamentsmehrheit, Regierung und Rechtsprechung<br />

übergreifenden homogen liberalen Ideologie kann das Bundesverfassungsgericht<br />

also nicht nur nicht verhindern; es ist sogar deren Garant. Als<br />

Hüter der Verfassung mit ihrem materiellen Kerngehalt wacht es gemäß Art.79<br />

Abs.III GG auf ewig über das geschlossene System der liberalen "offenen<br />

Gesellschaft". Ist das eine Diktatur? Welch akademische Frage - darf man doch<br />

in ihr, wie in einer Gummizelle, alles tun; nur ändern kann man nichts.<br />

Damit teilt das liberale System das Schicksal aller Systeme, die Wert auf ihren<br />

Selbsterhalt legen. Kein System kann langfristig dulden, daß seine geteilten<br />

Gewalten ein ideologisches Eigenleben führen, sonst zerstört es sich infolge<br />

seiner inneren Widersprüche selbst. So bereitete die Machtergreifung 1933 der<br />

Weimarer Republik ein schmähliches Ende. Sie veranschaulichte uns, was aus<br />

einem System wird, dessen Rechtsprechung einen so neutralen Gesetzesbegriff<br />

hatte, daß es seiner eigenen Auslieferung an seine Feinde nichts entgegensetz-<br />

297 Kimminich, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 62 (65).<br />

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