pdf-Version - Klaus Kunze
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Alles Recht ist politisches Recht. "Seien Sie nicht unpolitisch," erteilte "aus<br />
eigener Erfahrung" ein Richter am BGH "einen freundlich-wohlwollenden Ratschlag",<br />
sondern passen Sie sich dem Zeitgeist, das heißt dem Geist der Herren<br />
unserer Zeit, an; [...] Nehmen Sie sich ein Beispiel an [...erg.: Roman Herzog].<br />
Er hat nicht nur ein feines Empfinden, woher der politische Wind weht,<br />
sondern weiß auch, wer ihn macht. Der Gleichheitssatz gebietet keine Gleichbehandlung<br />
aller gesellschaftlichen Gruppen. Eine geläuterte Rechtsauffassung<br />
erkennt klare Unterschiede, aus denen sachliche Differenzierungsgründe für<br />
eine Ungleichbehandlung herzuleiten sind. Ist es etwa kein relevanter<br />
Differenzierungsgrund, wenn man das Wählerpotential im Auge hat? [...] Im<br />
übrigen: Sie rücken in die Nähe eines Verfassungsfeindes, wenn Sie Zweifel an<br />
den Differenzierungen unserer obersten Rechtsverwalter vom Schloßplatz bei<br />
der Anwendung des Gleichheitssatzes äußern. Alle Bürger sind gleich, aber<br />
einige sind gleicher als die anderen. Wissen Sie nicht, daß Not kein Gebot<br />
kennt und wo gehobelt wird, Späne fallen?" 272<br />
So gibt das Bundesverfassungsgericht dem weltanschaulich Wünschenswerten<br />
Flankendeckung, falls einmal ein Gesetz so ungenau formuliert oder lückenhaft<br />
sein sollte, daß die Instanzgerichte zu unerwünschten Urteilen gelangen:<br />
Die "richterlichen Ersatzgesetzgeber" 273 in Karlsruhe lesen notfalls auch ins<br />
Grundgesetz hinein, was dort gar nicht steht: Die Legitimationsbasis des<br />
BVerfG dürfte zwar allein das positive Verfassungsrecht sein. Gleichwohl mißbrauchen<br />
sie das "Grundgesetz als 'verfassungsrechtliche Wundertüte', der sich<br />
das 'Gute, Wahre und Schöne' - je nach Bedarf - entnehmen läßt. Jenseits dessen,<br />
was sich als 'immer schon im GG enthalten' aufweisen läßt, betreibt das<br />
Gericht Politik. Dafür hat es weder Mandat noch Legitimation. Zugegeben: Bezüglich<br />
seiner Macht ist das BVerfG faktisch souverän. Aber diese Souveränität<br />
ist gebunden an eine Normallage; fürchten muß das Gericht den Ausnahmefall:<br />
Die zunehmende Verlagerung politischer Macht nach Karlsruhe kann sich nämlich<br />
auf Dauer zu einer Akzeptanz- und Verfassungskrise auswachsen [...]. Und<br />
dann werden die Oligarchen von Karlsruhe in schlichten, gemeinverständlichen<br />
Worten erklären müssen, mit welchem Recht sie der Verfassung Inhalte<br />
entloc??ken, die vorher dort nicht zu finden waren. Wehe dem Gericht, es kann<br />
die Elementarfrage nicht plausibel beantworten." 274<br />
272 Falk Frhr.von Maltzahn, Leserbrief FAZ 27.5.1994.<br />
273 Rüthers, NJW 1993, 2588; Alfred Söllner, Allzu oft wirkt der Richter als Ersatzgesetzgeber,<br />
FAZ 11.7.94.<br />
274 Depenheuer, NJW 1993, 2561 ff. (2564).<br />
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