pdf-Version - Klaus Kunze
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stellen, vom Wohnzimmer aus mitzuentscheiden: nicht nur alle paar Jahre über<br />
unsere Vertreter, sondern wann immer eine Mehrheit der Bürger das will. Die<br />
Utopie der Demokratie als Regierungsform ist heute schon technisch denkbar.<br />
Wesentliche Merkmale unserer heutigen, auf dem Repräsentationsprinzip<br />
beruhenden Verfassungsordnung sind mit dem rein demokratischen Grundkonzept<br />
unvereinbar wie die Gewaltenteilung 7 und das Selbstverständnis als bloßes<br />
Konfliktregulierungssystem zum allseitigen Interessenausgleich. Den Parlamentarismus<br />
als Demokratie zu bezeichnen hielten unsere Altvorderen für undenkbar.<br />
Demokratie und Repräsentation schließen sich begrifflich aus. Für<br />
Rousseau war der demokratische Gemeinwille schlechthin unvertretbar. Das<br />
Volk könne überhaupt nicht repräsentiert werden. 8 Nach Robert Michels ist die<br />
Idee von der Vertretbarkeit der Volksinteressen eine durch einen falschen<br />
Lichteffekt hervorgerufene Wahnidee. 9 Montesquieu hatte die Staatsform, in<br />
der das Volk die oberste Gewalt hat, korrekt Republik genannt und nicht Demokratie.<br />
Daß Demokratie und repräsentierende Republik Gegensätze sind,<br />
wußten Kant und die amerikanischen Verfassungsväter. 10 Auch 1968 vermißten<br />
viele in der Republik die Demokratie: Sie träumten den Traum von der Aufhebung<br />
aller Herrschaft des Menschen über den Menschen in der anderen Republik,<br />
ohne das Problem zu lösen, wie im Zeitalter der Millionenmassen jeder<br />
einzelne persönlich Herrschaftsmacht mit ausüben soll.<br />
Die zeitgenössischen Staatsrechtler leugnen das nicht. Heute ist unbestritten,<br />
daß das Volk sich nur durch Repräsentation artikulieren kann, so daß es jedenfalls<br />
eine andere Verwirklichungsform für so etwas ähnliches wie Demokratie<br />
nicht gibt. Ob diese Repräsentation dann als Regierungsform oder, als<br />
"Lebensform einer pluralistischen Zivilgesellschaft" 11 , noch "Demokratie" zu<br />
nennen ist, ist eine reine Etikettenfrage. Im philosophischen, historischen und<br />
staatsrechtlichen Sinne ist sie es nicht. Nach Hans Herbert von Arnim liegt "das<br />
Grundübel unserer Demokratie [...] darin, daß sie keine ist." Neuerdings spricht<br />
er sogar offen von einer "Pseudodemokratie". 12 Weil aber das Volk nun einmal<br />
7 Roman Herzog, Art.20 I. Rdn.39, 42; V. Rdn.25; Helmut Schelsky FAZ 20.1.73; Carl Schmitt,<br />
Die geistesgeschichtliche Lage, S.47, 41, 52.<br />
8 Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag, Buch III, Kap. 15 S.158.<br />
9 Michels, Soziologie, S.371.<br />
10 Kant, Zum ewigen Frieden, S.191 ff., 207 und Metaphysik der Sitten § 52 S.464; Madison, An<br />
das Volk von New York, 22.11.1787, Federalist-Artikel, S.55.<br />
11 Vgl. Preuß, ZRP 1993,133.<br />
12 Arnim, Staat ohne Diener, S.60, 335.