pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
pdf-Version - Klaus Kunze
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
195<br />
___________________________________________________________<br />
buch einer von den Gewerkschaftsfunktionären nicht gern gesehenen Partei.<br />
Kirchen müssen keine Angestellten beschäftigen, die gegen Kirchenrecht verstoßen<br />
haben. So kann eine Küchenhilfe eines kirchlichen Altersheims entlassen<br />
werden, nur weil sie nicht kirchlich geheiratet hat. Nur der Staat, das<br />
Ganze, soll es heute hinnehmen müssen, daß seine Schaltstellen mit Personen<br />
besetzt werden, die nach Parteiproporz ausgewählt oder nach parteitaktischem<br />
Machtkalkül protegiert worden sind und die sich ihrer Partei verpflichtet<br />
fühlen, nicht dem Ganzen.<br />
Aber wie ist der Gefahr zu begegnen, der Bundespräsident als einzelner<br />
könne, was noch schlimmer wäre als die Herrschaft einer Teilgruppe, im wesentlichen<br />
eigennützig für sich selbst regieren? Ist er als Person nicht auch Teil<br />
der Gesellschaft? Wenn die Herrschaft einer Gesellschaftsgruppe über den<br />
Staat, das Ganze, von Übel ist - muß nicht die Herrschaft eines einzelnen, also<br />
eines Teils einer Teilgruppe, das Übel noch verstärken?<br />
In der parlamentarischen Demokratie behauptet die jeweilige Parlamentsmajorität<br />
ja auch, für das Ganze zu herrschen. Daß sie ihrer Natur nach nicht das<br />
Ganze, sondern nur sich selbst vertreten kann, ist eine wesentliche kritische<br />
Einsicht gegen das System der Parlamentsregierung. Wenn ein einzelner Präsident<br />
das Ganze inhaltlich soll repräsentieren können, wenn wir ihm zutrauen,<br />
für die Belange Aller einzutreten, warum soll ein vom Parlament gewählter<br />
Bundeskanzler das nicht auch können? Warum können es die Parlamentarier<br />
praktisch nicht, obwohl sie es nach Art.38 GG doch sollen?<br />
Der wesentliche Unterschied liegt in der nötigen persönlichen Unabhängigkeit<br />
des Bundespräsidenten und dem ihm abzufordernden Amtsverständnis. Ein<br />
Bundeskanzler von Parlaments Gnaden ist stets dem Gutdünken der jeweiligen<br />
Mehrheit ausgesetzt und muß für diese Entscheidungen treffen. Im täglichen<br />
Ringen um Kompromisse zwischen den Interessen innergesellschaftlicher<br />
Machtgruppen kann er nicht zugleich für die Unorganisierbaren, Ungeborenen<br />
und Schwachen und schon gar nicht für das Ganze gegen den Interessendruck<br />
seiner Teile eintreten. Das gilt erst recht, wenn er zugleich Vorsitzender der<br />
Majoritätspartei ist. Ohne Ungebundenheit von solchen Abhängigkeiten kann<br />
ein Präsident daher nicht für das Ganze regieren oder regieren lassen. Keine<br />
formelle Parteigebundenheit darf Zweifel an der Neutralität und inneren Unbestechlichkeit<br />
des Amtsinhabers wecken. Die Freiheit von Partikularbindungen<br />
und Basisimperativen ist Grundvoraussetzung demokratischer Repräsentation.<br />
601<br />
601 Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.20.