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pdf-Version - Klaus Kunze

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fordert ihnen die Bereitschaft zur Identifikation ab. Das Verhalten ist nur noch<br />

der formale Anknüpfungspunkt, um "verfassungsfreundliche oder -feindliche"<br />

Gesinnung herauszufinden, auf die es ihm entscheidend ankommt. 214 Die "neue<br />

Tendenz" geht zur "staatlichen Weltanschauungskontrolle [...]. Die aufgeklärte<br />

Weltanschauung, [...] beansprucht jetzt, da sie mehrheitlich akzeptiert ist, den<br />

Alleinherrschaftsanspruch." 215<br />

Totalitär wird der "aufgeklärte" Liberalismus zum Beispiel, wo sich ein<br />

Lehrer nicht dem Erwartungsdruck moraleifriger Kollegen oder Schüler entziehen<br />

kann, an der Spitze einer Lichterkette mitzumarschieren, obwohl er das eigentlich<br />

gar nicht möchte, und wo die so demonstrierte höhere Moral zur Bedingung<br />

beruflichen Fortkommens wird. Totalitär wird er, wenn die Stadtverordnetenversammlung<br />

der Stadt Potsdam am 3.5.1994 beschloß, einen Vermieter<br />

aufzufordern, den Mietvertrag mit einem rechten Zeitungsverlag<br />

rechtswidrig aufzukündigen, dessen Tendenz den Parlamentariern nicht paßte.<br />

Totalitär wird er auch, wo in staatlichen Massenmedien moralisch erledigt<br />

wird, wer es wagt, zu bestimmten Fragen wie der Ausländerfrage oder zu Wertungen<br />

der jüngeren Vergangenheit eine abweichende Meinung zu äußern. Totalitär<br />

wird er erst recht, wo der Staat den mit Gefängnis bestraft, der zu<br />

technischen Einzelfragen oder Zahlenangaben der Zeitgeschichte etwas anderes<br />

sagt, als die staatlichen Gedenktafeln behaupten; oder wo der Staat unter dem<br />

Einfluß gesellschaftlicher Moralvorstellungen einem Gastwirt die Konzession<br />

entzieht, der Gäste bestimmter Nationalität nicht einlassen will. Eine hysterische<br />

Betroffenheitstümelei fordert jedem ein ständiges moralisches Glaubensbekenntnis<br />

ab, das leicht ebenso zur Heuchelei wird wie jedes heruntergebetete<br />

Glaubensbekenntnis in irgendeinem historischen Staat, der eine bestimmte<br />

Moral zur Staatsräson erhoben hat. So werden heute jedem jene "peinigenden<br />

Exerzitien abverlangt, [...] der heute in Deutschland von Amts wegen zu<br />

öffentlicher Rede verpflichtet ist." "Schulmeisterhaft" wird dem Volk "von<br />

oben herab eingerieben [...], was es zu denken habe, welchen Gedanken es sich<br />

hingeben dürfe und welche es hintanzuhalten habe." 216<br />

Es ist kein Zufall, daß gegen die Trennung von Staat und Gesellschaft<br />

gleichlautend alle diejenigen polemisieren, die das Individuum ihrer Herrschaftsideologie<br />

als Staatsmoral unterwerfen wollen: Die konservativen Feudal-<br />

214 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S.284.<br />

215 Kriele, FAZ 6.4.1994.<br />

216 F.K.Fromme, Nun ist das Amt zu erfüllen, FAZ 25.5.1994 in Anspielung auf<br />

R.v.Weizsäckers Reden.<br />

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