pdf-Version - Klaus Kunze
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strategisch handelnder kollektiver Aktoren um den Erhalt oder den Erwerb von<br />
Machtpositionen bestimmt." 122<br />
"Die Massen werden durch einen Propaganda-Apparat gewonnen, dessen<br />
größte Wirkungen auf einem Appell an nächstliegende Interessen und Leidenschaften<br />
beruhen. Das Argument im eigentlichen Sinne, das für die echte<br />
Diskussion charakteristisch ist, verschwindet." 123 "Heute wirkt es wie eine<br />
Satire, wenn man einen Satz von Bentham 124 zitiert: 'Im Parlament treffen sich<br />
die Ideen, die Berührung der Ideen schlägt Funken und führt zur Evidenz.'" 125<br />
Das parlamentarische Formprinzip der Entscheidungsfindung aufgrund öffentlicher<br />
Diskussion ist längst zur inhaltsleeren Formalie degeneriert. Von seltenen<br />
Ausnahmefällen abgesehen, fallen die wesentlichen Entscheidungen nicht<br />
mehr im Parlament. Die wünschenswerte demokratische Willensbildung im<br />
Volke aufgrund freier geistiger Auseinandersetzung, die Willensbildung "von<br />
unten nach oben", führt ihren Reigen allenfalls noch über dem Sternenzelt des<br />
Ideenhimmels, nicht aber hienieden im allgegenwärtigen Medienstaat oder gar<br />
im Bundestag. Wirklich entschieden wird auf Parteitagen, informellen Treffen<br />
von Spitzenpolitikern, 126 in schriftlichen "Verträgen" einzelner Seilschaften zur<br />
Aufteilung der Beutemasse, 127 bestenfalls noch in der Koalitionsrunde, aber<br />
nicht in den verfassungsmäßig vorgesehenen Staatsorganen. "Fraktionsdisziplin<br />
und -zwang bestehen fort. Koalitionsvereinbarungen legen fest, wann das Abstimmungsverhalten<br />
im Parlament den Abgeordneten - horribile dictu - freigestellt<br />
werden soll." 128<br />
Koalitionen sind in der Verfassung nicht vorgesehen und beeinträchtigen<br />
verfassungsrechtliche Kompetenzen von Staatsorganen, nämlich die Personalhoheit<br />
(Art.64 I GG) und Richtlinienkompetenz (Art.65 S.1 GG) des Kanzlers<br />
und die Ressortkompetenz der Bundesminister (Art.65 S.2 GG). Koalitionsentscheidungen<br />
unterliegen, da im Gesetz nicht vorgesehen, keiner verfassungsrechtlichen<br />
oder sonst richterlichen Kontrolle. 129 Wie drastisch die nach der<br />
Idee des Parlamentarismus und dem Willen des Bonner Grundgesetzes vorge-<br />
122 Habermas, Faktizität und Geltung, S.331.<br />
123 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.11.<br />
124 Jeremy Bentham, 1748-1832, liberaler Jurist und Theoretiker des Parlamentarismus.<br />
125 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.12.<br />
126 Jäde, Die Lebenslüge der Demokratie, S.107 (117).<br />
127 Scheuch, Cliquen, zum "Kölner Modell".<br />
128 Vierhaus S.474<br />
129 Ziemske, ZRP 1993, 369 (371).