pdf-Version - Klaus Kunze
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Die absolute Republik<br />
Die Einsicht in die Unabdingbarkeit einer Trennung von Staat und Gesellschaft<br />
als Vorbedingung individueller Freiheit hat zu einer Renaissance etatistischen<br />
Denkens geführt. Dieses will den Staat von seiner Knebelung durch<br />
gesellschaftliche Parteiungen und Gruppen befreien und sieht einen gesellschaftlicher<br />
Einflüsse ledigen Staat als notwendige Voraussetzung für die<br />
Entfaltung der Einzelpersönlichkeit und die Wahrung des Gemeinwohls an.<br />
Dieses Denken unbesehen als "rechts" zu bezeichnen, griffe zu kurz. Gegenüber<br />
völkisch-kollektivistischem Gedankengut bestehen mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten.<br />
Während dort ein Teil der Gesellschaft den Staat erobern und<br />
dessen Machtmittel gegen die anderen Teile richten will, die seiner Idee von einem<br />
homogenen Volkskörper widersprechen, soll der von gesellschaftlichen<br />
Einflüssen entschlackte Staat hier gerade das verhindern und zum Wohle aller<br />
die Freiheit jedes einzelnen schützen.<br />
Daß das gewohnte Rechts-Links-Schema hier nicht richtig paßt, zeigt sich<br />
auch in der Person der zur Zeit wohl konsequentesten Verfechter etatistischer<br />
Positionen in der aktuellen Diskussion: Hans Dietrich Sander, geboren in<br />
Mecklenburg, 1948-52 während des Studiums in Berlin unter dem Einfluß<br />
Brechts; Günter Maschke, gebürtiger Erfurter, wirkte 1968-70 in Kuba; und<br />
Reinhold Oberlercher, geboren in Dresden und in Hamburg neben Rudi Dutschke<br />
alt-68er SDS-Funktionär. Ihre Biographie begann ganz links; Oberlercher<br />
versteht sich heute noch als Marxist. Die Notwendigkeit des starken, gesellschaftlichen<br />
Partikularinteressen enthobenen Staates, wie sie Carl Schmitt in<br />
seiner dezisionistischen Politik- und Souveränitätstheorie umrissen hat, betonen<br />
sie heute ebenso wie Armin Mohler, der sich Carl Schmitt nicht von links kommend,<br />
sondern aus originär rechter Sicht angeeignet hat. 490 Diese Denker fordern<br />
die Emanzipation des Leviathan von seinen gesellschaftlichen Fesseln.<br />
Die Trennung von Staat und Gesellschaft oder ihre Identität bildet die Gretchenfrage<br />
der heutigen deutschen Staats- und Verfassungslehre. Eine Trennung<br />
ist zwar keine hinreichende, jedoch die notwendige Vorbedingung individueller<br />
Freiheit. 491 Der moderne Staat entstand in dem Moment, in dem es gelang, die<br />
Herrschaft der mittelalterlichen Stände und die auf personenbezogener Treue<br />
beruhende Rechtsordnung des Feudalismus aufzubrechen und ihre Kräfte zum<br />
490 Vgl. Hilger, Armin Mohler, S.718 (723); Til Schulz, Der liebe Ultra, S.730.<br />
491 Hesse, DöV 1975, 440 ff.