pdf-Version - Klaus Kunze
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zweier Menschen vertreten werden kann. Wer es vertreten will, muß dabei<br />
einen Standpunkt einnehmen, der sich gegenüber den auch vorhandenen Privat-<br />
und Einzelinteressen möglichst neutral verhält. Daß sich die Staatsgewalt als<br />
pauvoir neutre über die gesellschaftlichen Kräfte erheben kann, ist also<br />
keineswegs Ideologie, 598 sondern folgt zwingend aus der Idee der Vertretbarkeit<br />
von Interessen.<br />
Mit Recht hat Böckenförde darauf hingewiesen, daß der politische Ort zur<br />
Austragung von Fundamentalkonflikten fehlt, wenn konstituierte Interessengruppen<br />
die einzigen Faktoren der politischen Willensbildung sind. Diese Konflikte<br />
würden verdrängt, und sie wären nur bei einer Mobilisierung der Gesamtheit<br />
aller Bürger artikulationsfähig. Diese Mobilisierung bedürfe staatlicher<br />
Leitungsorgane. 599 Ein solches Organ wäre der Bundespräsident mit den hier<br />
vorgeschlagenen Kompetenzen. Das strukturelle Defizit des ultraliberalen<br />
Bonner Modells liegt darin, daß er diese Befugnis nicht hat. Das ist ein Repräsentationsmangel,<br />
der die jeweilige Majorität der Gruppeninteressen durch den<br />
Bundestag uneingeschränkt herrschen läßt und dem Gemeinwohl keine wirksame<br />
Vertretung zugesteht. Diese Vertretung ist eine Bedingung, ohne die Staat<br />
und Gesellschaft nicht voneinander geschieden werden können. Es gibt<br />
demzufolge nur eine realistische Strategie für ein Roll Back des Parteienstaates:<br />
Sie bedient sich des beidseits scharfen Schwertes des Plebiszits: Dieses bekämpft<br />
destruktiv die verkrusteten Strukturen des selbstreferentiellen Parteienfeudalismus,<br />
und sie gibt dem Neuen konstruktiv durch Wahl des Bundespräsidenten<br />
die nötige demokratische Legitimation.<br />
Anders als heute wird und muß das Volk doppelt repräsentiert sein: In seiner<br />
Erscheinungsform als bürgerliche Gesellschaft mit pluralen Interessen in einem<br />
Parlament abgeordneten Vertreter dieser Einzelinteressen; als ganzes Volk hingegen<br />
in einer vom Volke direkt gewählten Einzelpersönlichkeit, die den Staat<br />
verkörpert und durch ihren Kanzler die Belange des Ganzen vertritt. Das folgt<br />
aus dem genuin aufklärerischen Ansatz erforderlicher Interessenvertretung und<br />
führt diesen konsequenter durch als das extrem liberale Modell einseitiger Entfaltungsmöglichkeiten<br />
vor allem für den ökonomisch Stärkeren und das linke<br />
Modell klassenmäßiger Interessenvertretung. Jeder hat also ein unmittelbar<br />
selbstbezogenes Eigeninteresse und ein manchmal damit konkurrierendes<br />
Eigeninteresse am Bestand der Gruppe hat, zu der er gehört und die ihn schützt.<br />
Wer nicht erkennt, daß es Völker gibt, die Staaten zur Wohlfahrt ihrer An-<br />
598 So irrig Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, S.216.<br />
599 Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.10.