pdf-Version - Klaus Kunze
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Nach deutscher Verfassungstradition ist der berufene Vertreter der Fundamentalinteressen<br />
aller Bürger der vom Volke direkt gewählte Bundespräsident.<br />
Dieser ernennt einen nur von ihm abhängigen Kanzler, wie in Frankreich und<br />
der Weimarer Republik, oder er regiert selbst, wie in den USA. Sein Kanzler ist<br />
aber nicht vom Parlament abhängig wie im Parlamentarismus. Ihm wird gerade<br />
gegenüber dem Parlament, das auch künftig die Gesellschaft mit ihren Binneninteressen<br />
vertritt, die notwendige Repräsentation des zu den innergesellschaftlichen<br />
Interessen meistens quer liegenden 591 Allgemeininteresses obliegen,<br />
und als dessen Vertreter wird er mit staatlicher Regierungsmacht in einem<br />
gewaltenteilenden Verfassungssystem dem gesetzgebenden Parlament ebenbürtig<br />
gegenüberstehen.<br />
Das wird dann im Ergebnis kein Parlamentarismus im engeren Sinne mehr<br />
sein, sondern ein Präsidialsystem, das im Prinzip so funktionieren wird, wie es<br />
auch bei unseren amerikanischen und französischen und russischen Nachbarn<br />
funktioniert. Nebenbei bemerkt wäre ein Präsidialsystem, wie hier vorgeschlagen,<br />
mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des BVerfG<br />
ohne weiteres vereinbar. Art.79 III und 20 GG verlangen nicht das rein parlamentarische<br />
Regierungssystem, sondern lassen ein präsidiales durchaus zu. 592<br />
Wünschenswert ist dabei eine möglichst weitgehende Trennung von Staat und<br />
Gesellschaft in Form einer völligen Unabhängigkeit des Präsidenten und der<br />
Regierung vom gesetzgebenden Parlament. Als Pragmatiker würden wir eine<br />
Verfassung wie die Weimarer und die jetzige russische 593 mit einer Regierung,<br />
die vom Vertrauen von Parlament und Präsident abhängt, natürlich als Teilverwirklichung<br />
unserer Prinzipien immer noch lieber sehen als unser heutiges System<br />
reiner Parlamentsherrschaft.<br />
Die Ironie der Geschichte des historischen Liberalismus bringt es mit sich,<br />
daß gerade das hier geforderte Regierungssystem einmal liberalen Forderungen<br />
exemplarisch entsprochen gehabt hatte: Bevor es Liberale 1918 und 1948<br />
bevorzugten, nach der ganzen Macht zu greifen und einen liberalen Parlamentsabsolutismus<br />
zu errichten, sahen sie "das Wesen des echten Parlamentarismus<br />
gerade darin, daß die Exekutive nicht das untergeordnete Instrument des Parlamentswillens<br />
ist, sondern ein Gleichgewicht zwischen beiden Gewalten be-<br />
591 Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, S.11<br />
592 Herzog, in: M.-D.-H, Art.20 GG II. Rdn.81.<br />
593 Zur Russischen Verfassung von 1993 Schweisfurth, FAZ 9.12.1993.