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pdf-Version - Klaus Kunze

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tietheorie, der alle Säkularisierungen überstanden hat. 358 Über die christlichen<br />

engen Verwandten unserer Demokratiegläubigen schrieb Friedrich der Große<br />

an Voltaire am 4.11.1736: "Was die Theologen angeht, so scheint es, als<br />

ähnelten sie sich alle im allgemeinen, gleich welcher Religion oder Nation sie<br />

angehören; stets ist es ihr Bestreben, sich über die Gewissen eine despotische<br />

Autorität anzumaßen."<br />

Die Gläubigen unserer Zeit verteidigen ihre Moral mit demselben quasireligiösen<br />

Fanatismus wie die Gläubigen aller Zeiten ihre jeweiligen Götter. Friedrich<br />

hatte sie in einem Brief an Voltaire am 6.7.1737 so charakterisiert: "In<br />

Deutschland fehlt es nicht an abergläubischen Leuten, auch nicht an von Vorurteilen<br />

beherrschten und bösartigen Fanatikern, die umso unverbesserlicher sind,<br />

als ihnen ihre tumbe Unwissenheit den Gebrauch der Vernunft verbietet. Es<br />

steht fest, daß man im Dunstkreis solcher Untertanen vorsichtig sein muß.<br />

Selbst der ehrenhafteste Mensch ist verschrien, wenn er als Mann ohne Religion<br />

gilt. Religion ist der Fetisch der Völker. Wer auch immer mit profaner<br />

Hand an sie rührt, er zieht Haß und Abscheu auf sich." 359 Ebenso verfahren die<br />

modernen Demokratiegläubigen, die Betroffenen, bei wirklichen oder eingebildeten<br />

Angriffen auf ihren Gott. Wer mit profaner Hand an die vergötterte Demokratie<br />

rührt oder sie gar anzweifelt, stößt sich selbst aus der Gemeinschaft<br />

der Guten so sicher aus wie jeder Ketzer in irgend einem Zeitalter. Wer das<br />

nicht glaubt, kann ja einmal öffentlich bekennen, kein Demokrat oder nicht<br />

betroffen zu sein, und warten, was dann passiert: Er zieht unweigerlich die<br />

soziale Reaktion des Mobbing 360 auf sich: die Gruppenhatz. Er wird erfahren,<br />

was das Wort Sündenbock eigentlich bedeutet und was es heute heißt, einer zu<br />

sein: Wie in allen Zeiten der Sündenbock rituell geschlachtet wurde, um symbolisch<br />

die Sünden der Gemeinschaft der Rechtgläubigen auf sich zu ziehen<br />

und jene zu erlösen, fühlt sich der moderne Betroffene gleich besser, wenn in<br />

einer Talkschau, der Mitternachtsmette der liberalen Diskursgesellschaft, mit<br />

gehörig betroffener Miene der Neonazi beschworen, verdammt und<br />

ausgetrieben wurde. Oh Herr, ich danke dir, daß ich nicht so scheußlich bin wie<br />

jener! In Sodom und Gomorrha soll es leider keinen Gerechten mehr gegeben<br />

haben. Im Liberalismus gibt es nur Gerechte: Pharisäer - Selbstgerechte - sagte<br />

man früher.<br />

358 Enzensberger, Aussichten auf den Bürgerkrieg, S.74.<br />

359 Voltaire - Friedrich der Große, Aus dem Briefwechsel, 1993.<br />

360 Vgl. Illies, Der Affenfelsen und wir.

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