28.10.2013 Aufrufe

pdf-Version - Klaus Kunze

pdf-Version - Klaus Kunze

pdf-Version - Klaus Kunze

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

205<br />

___________________________________________________________<br />

erzustand, der nicht auf Deutschland beschränkt, sondern in allen hoch<br />

entwickelten Staaten anzutreffen ist. "Das unter der Voraussetzung einer Autonomie<br />

der Gesellschaft entstandene parlamentarische System ist insoweit der<br />

modernen Staatswirklichkeit nicht mehr kongruent, wie die Gesetzgebungsrückstände<br />

der modernen Parlamente erkennen lassen." 619 Heutige Gesetzgebungstätigkeit<br />

ist mehr und mehr auf einen fachjuristischen Mitarbeiterstab angewiesen,<br />

wie ihn faktisch nur die Regierung mit ihrer Ministerialbürokratie effektiv<br />

und dauerhaft leisten kann. Die Realität der täglichen Gesetzgebungsarbeit<br />

der Bundestagsabgeordneten besteht daher darin, daß die Mehrzahl der<br />

Gesetze paketweise die Lesungen durchläuft, ohne daß mehr als einige wenige<br />

Abgeordnete von Einzelheiten ihres Inhalts überhaupt noch Kenntnis nehmen,<br />

geschweige denn sie durchblic??ken oder gar Einzelfragen beeinflussen können.<br />

"Unser Parlament ertrinkt in einer Flut von Gesetzgebungsaufgaben. Die<br />

Gesetze sind zu dick und zu kompliziert, kaum noch jemand versteht sie." 620<br />

Die politischen Grundsatzentscheidungen werden gewöhnlich auf Parteitagen<br />

oder in Verhandlungen der Koalitionsspitzen getroffen, von Beamten der<br />

Ministerien oder von fraktionsangestellten wissenschaftlichen Mitarbeitern ausgearbeitet<br />

und von der Abstimmungsmaschine Bundestag nur noch am Fließband<br />

durch die gesetzlich erforderlichen formalen Verfahrensstationen gepeitscht.<br />

Partei- und Fraktionsdisziplin, in der Praxis oft Fraktionszwang, frustrieren<br />

viele Abgeordnete maßlos; und "häufig sind sie kaum mehr als<br />

Ratifikationsmaschinen." 621 Nur wenn eine Gesetzesvorlage sich einmal auf<br />

einen für alle verstehbaren Einzelpunkt beschränkt, wie das bei der Debatte um<br />

die Strafbarkeit der Abtreibung der Fall war, sticht das echte Ringen der Abgeordneten<br />

um eine überzeugende Lösung gerade als seltene Ausnahme hervor.<br />

Und wenn dann noch ausnahmsweise der Fraktionszwang fehlt, wird durch<br />

diese Auffälligkeiten nur bestätigt, daß Gesetzgebungsarbeit im Regelfall mit<br />

argumentierender Debatte nichts zu tun hat.<br />

Im gesetzgeberischen Alltag hat der einzelne Abgeordnete nicht viel beizutragen<br />

und muß sich auf Vorgaben seiner Partei oder Vorgaben der Regierung<br />

verlassen. Diesen faktischen Zwängen sollte künftig auch normativ entsprochen<br />

werden, indem die Abgeordneten in größerem Maße als bisher von den Aufgaben<br />

einer routinemäßigen Gesetzgebungsmaschinerie entlastet werden. Dafür<br />

sollten sie zu schade sein und sich auf die Entscheidung grundsätzlicher Fragen<br />

619 Forsthoff, Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S.171.<br />

620 Roman Herzog, Interview in FOCUS 19/1994 vom 9.5.1994, S.23 (24).<br />

621 Arnim, Ein demokratischer Urknall.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!