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pdf-Version - Klaus Kunze

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Hymnen und Fackelzügen die Nase voll hatten. Die nachgeborenen Betroffenen<br />

ahmen in steigendem Maße wieder die äußeren Formen religiöser Kulthandlungen<br />

nach, wie sich auch bereits die Aufmärsche und Feierstunden der Nationalsozialisten<br />

und der Kommunisten bewußt der äußeren Formen religiöser<br />

Kulthandlungen bedient hatten. So ist es kein Zufall, wenn wir evangelische<br />

Pastoren an der Spitze von Lichterketten marschieren sehen. Diese gehören zur<br />

Familie der Fackelzüge und Bußprozessionen und gehen letztlich auf vorchristlich-archaische<br />

Kulthandlungen zurück. Es ist auch kein Zufall, wenn CDU-<br />

Strategen die Stigmatisierung politischer Gegner anstreben. In diesen Zusammenhang<br />

gehören die gebetsmühlenartig wiederholten Betroffenheitslitaneien<br />

ebenso wie der gesellschaftliche Bann für Ungläubige. Jede Herrschaftsrechtfertigung<br />

ist eben in ihrem Kern Religion. "Alle prägnanten Begriffe der<br />

modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe." 355 Daher ist jedes<br />

System nur im Kern seiner metaphysischen Letztrechtfertigung erfolgreich<br />

angreifbar. Diese wird es diese mit quasireligiöser Inbrunst verteidigen und<br />

dabei mit den Waffen der Ketzerverfolgung zurückschlagen müssen, oder es<br />

wird untergehen. Es genügt nicht, die Handlungen des Abweichlers zu verbieten.<br />

Auf Dauer läßt sich ein System nur verteidigen, wenn es alle Taten und<br />

die Gesinnung desjenigen verflucht, der es abschaffen will.<br />

Im diesem Lichte betrachtet entpuppt sich der angeblich aufgeklärte, säkularisierte<br />

Deutsche des ausgehenden 20. Jahrhunderts als ebenso anfällig für das<br />

Pathos der heute dominanten humanitaristischen Zivilreligion wie sein mittelalterlicher<br />

Vorfahre für die christliche Religion. Jedes Zeitalter hat seine eigenen<br />

Mythen. Heute erfüllt der Glaube, daß alle Gewalt vom Volk komme, eine<br />

ähnliche Funktion wie früher der Glaube, daß alle obrigkeitliche Gewalt von<br />

Gott komme. 356 Robert Michels sprach 1911 treffend vom Gott der Demokratie.<br />

357 Zu den Dogmen der humanitaristischen Zivilreligion gehören neben der<br />

Souveränität des Volkes ein egalitaristisches Verständnis der Menschenrechte,<br />

und ähnliche Gedankenkonstrukte. Sie werden von ihren Gläubigen mit derselben<br />

Wut verteidigt, über die Voltaire im März 1737 an Friedrich schrieb: "Alle<br />

Theologen aller Länder (sind) Leute, die von heiligen Schimären trunken sind,<br />

(und) ähneln jenen Kardinälen, die Galilei verdammten..." So zeigt sich heute<br />

der theologische Kern der humanitaristischen Menschenrechts- und Demokra-<br />

355 Carl Schmitt, Politische Theologie, S.49, nach Donoso Cortés, Essay, S.6 f.<br />

356 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage, S.41.<br />

357 Michels, Soziologie, S.351.<br />

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