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pdf-Version - Klaus Kunze

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Zweifel der Kritik gegründeten Wissenschaftlichkeit" 350 sein. In einem säkularisierten,<br />

weltanschaulich neutralen Staat dürfte es liberaler Ansicht nach keine<br />

freiheitliche demokratische Staatsreligion geben. 351 Es gibt sie dennoch. "Aus<br />

dem 'Verfassungspatriotismus' wird eine geradezu religiös verklärte<br />

'Verfassungsmystik'." 352<br />

Das Dilemma des Liberalismus besteht darin, daß er wohl seiner Selbsteinschätzung<br />

nach pluralistisch sein möchte, so daß moralische oder religiöse Dogmen<br />

quer zu seiner kritisch-rationalistischen Eigenrechtfertigung zu liegen<br />

scheinen, daß die Einlösung seines Pluralismusversprechens aber zu seiner faktische<br />

Selbstaufgabe führen würde. Die liberale Demokratie sieht sich mit ihrer<br />

Eigenrechtfertigung im entschiedenen Gegensatz zur "totalitären Diktatur",<br />

welche "die Rechtfertigung der richtigen Politik durch Rückgriff auf erste,<br />

wahre Prinzipien" will. Sie möchte die "Dogmatisierung des politischen Irrtums"<br />

verhindern 353 und lehnt offiziell "eine positive, inhaltliche Normierung<br />

und Festschreibung des sozialen Lebens nach vorgefaßten [...] Postulaten" ab.<br />

Der Liberalismus stünde gegenüber konkurrierenden Ideologien wehrlos da,<br />

wenn er ihnen, getreu seiner Selbstrechtfertigung, nur "liberal" und<br />

pluralistisch gegenübertreten und sich selbst kritisch-rationalistisch betrachten<br />

würde. Tatsächlich sieht er alle anderen Phänomene mit kritischrationalistischen,<br />

aufgeklärten Augen, nur sich selbst nicht. Wie jedes Herrschaftssystem<br />

würde er untergehen, wenn er die geistigen Grundlagen seiner<br />

Macht nicht mit Gesinnungsdruck verteidigen, würde, wo sie angegriffen wird.<br />

Die weltliche Macht über die Menschen behält er nur durch die spirituelle<br />

Kontrolle über ihren Glauben. Trotz liberal-aufklärerischer Attitüde muß auch<br />

der Liberalismus an sich selbst glauben, weil sich die liberale Ratio nicht mit<br />

sich selbst begründen kann. Darum muß er mit seinen eigenen Prämissen in<br />

Konflikt kommen und diese mit quasi-religiöser Inbrunst verteidigen, sobald sie<br />

grundsätzlich in Frage gestellt werden.<br />

Keine Herrschaft hält sich dauernd, die ihren Untertanen nicht die Frage beantworten<br />

kann, welchen Sinn ihr Gehorsam eigentlich hat. Diese Sinnstiftung<br />

ist Aufgabe von Herrschaftsideologien. Derartige Ideengebäude gründen auf<br />

konkreten erwünschten Einzeltugenden, zum Beispiel der Treue zum Königshaus<br />

in der Monarchie, der virtù in der Republik oder der Gottesfurcht im<br />

350 H.Kelsen, Archiv für Soz.-W. 1920, S.84, zit. nach C.Schmitt, Politische Theologie, S.55.<br />

351 Meier, Parteiverbote und demokratische Republik S.416.<br />

352 Ulrich Everling, FAZ-Leserbrief 29.9.1995.<br />

353 Dettling, Demokratisierung, S.30, 21.<br />

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