pdf-Version - Klaus Kunze
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weder mit Geist und Buchstaben der Gewaltenteilungslehre vereinbaren noch<br />
wirklich mit dem Prinzip der Interessenrepräsentation.<br />
Die Existenz eines Parlaments als solche macht das System noch nicht zum<br />
Parlamentarismus, ebenso wie ein Verfassungsstaat wie Schweden trotz eines<br />
machtlosen Königleins keine Monarchie im Sinne der Staatslehre; wie ein dem<br />
sozialen Gedanken verpflichteter Staat wie unserer nicht gleich ein Sozialismus<br />
und ein dem nationalen Gedanken verpflichteter Staat wie Frankreich deshalb<br />
nicht gleich ein Nationalismus ist. Der apodiktische "Ismus" rechtfertigt sich<br />
erst durch die verfassungsmäßige Allmacht des Parlaments. Wie in der absoluten<br />
Republik die absolute Macht beim regierenden und gesetzgebenden Staat<br />
liegt, ruht sie im Parlamentarismus bei der Gesellschaft in Gestalt des gesetzgebenden<br />
und regierenden Parlaments. Das eine wie das andere ist als Absolutismus<br />
im Prinzip abzulehnen. Wo nämlich der Ismus zum allein selig machenden<br />
Prinzip erhoben wird und keine Götter neben sich duldet, unterdrückt er andere<br />
notwendige Voraussetzungen menschlicher Freiheit. Allein durch das Hinzufügen<br />
der harmlosen Silben ismus kann eine gefährliche Umwälzung des<br />
Wortsinnes bewirkt werden dank ihrer Elastizität. 548<br />
Eine nur einer fixen Idee verpflichtete Sicht der Welt nennen wir Ideologie,<br />
und ihre praktische Durchsetzung und Unterdrückung anderer Grundwerte ist<br />
extremistisch. So liegt der spezifische Extremismus des Liberalen also darin,<br />
daß alle möglichen Interessen repräsentiert sein dürfen, ausgerechnet das allgemeine<br />
Interesse aber nicht, was mit der rein ideologischen Behauptung gerechtfertigt<br />
wird, diesem sei durch das ungehemmte Wirken der gesellschaftlichen<br />
Gruppen genügt; man könne der jeweiligen Majorität ohne Bedenken die Obhut<br />
über das Allgemeininteresse anvertrauen, die anderen seien ja durch Minderheitenrechte<br />
vor ihrer gänzlichen Vernichtung ausreichend geschützt; sowie durch<br />
die empirisch widerlegte Fiktion, in ein Gremium entsandte Parteienvertreter<br />
könnten dort andere Interessen als die ihrer Partei vertreten. Die Fiktion, die<br />
Repräsentanten von Gesellschaftsgruppen verträten das Wohl aller, ist der Kern<br />
der Herrschaftsideologie Liberalismus. Ihrer bedient sich zur Zeit die Bonner<br />
"politische Klasse" als sozialgeschichtlich greifbare Gruppe konkreter Menschen.<br />
Diese leitet ihre persönliche Macht aus ihrer Funktion als Repräsentan-<br />
548 Klemens Fürst von Metternich am 28.4.1852 an Donoso Cortés, Criticón 1988, S.70. Aus der<br />
Antwort Cortés vom 18.5.1852: "Der Ismus ist unzweifelhaft eine Art von Euphemismus, um<br />
die Herabwürdigung oder den Wahn und den Irrtum des menschlichen Verstandes<br />
auszudrüc??ken, in den oftmals die besten Dinge sich verkehren."