Das Titelbild („Der Baum“) wurde auf einem ... - Afrikanet.info
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Schluß 233<br />
Bibel? Oder gibt es „bloß alternative Selektion“? 5 Auch wenn die Auseinandersetzung<br />
mit der Bibel für die Entwicklung einer persönlichen Urteilsfähigkeit nicht unbedeutend<br />
und der Bezug <strong>auf</strong> sie konstitutiv für den christlichen Glauben ist, so ist sie doch -<br />
was deutlich geworden sein dürfte - sehr problematisch als argumentatives Fundament<br />
oder Begründungsbasis für die ethische Urteilsbildung bzw. für eine bestimmte Praxis,<br />
selbst in ihren - vordergründig - positiven Traditionen:<br />
Wenn etwa die Befreiungstheologie betont, daß Gott dem Elend der Welt nicht<br />
gleichgültig zuschaue, daß er vielmehr Partei für die Unterdrückten und Entrechteten<br />
ergreife, daß daher die Befreiung seines Volkes aus der Knechtschaft,<br />
eine „politische Affäre“, als Urmodell seines Heilshandelns zu gelten habe, das<br />
im „Heilswerk Christi“ nur an sein „letztgültiges Ziel“ gelangt sei, so ist das ein<br />
grundsympathischer Gedanke - und doch heikel wie immer, wenn Menschen für<br />
ihr Tun göttlichen Willen reklamieren. 6<br />
Die théologie sous l’arbre als Herausforderung für<br />
Theologie in der Ersten Welt<br />
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Am größten aber unter ihnen ist<br />
die Liebe. (1 Kor 13,13)<br />
Diese abschließenden Reflexionen können notgedrungen nur bruchstückhaft bleiben. Mehr noch<br />
als Thema einer eigenen Erörterung sind die Herausforderungen, vor die uns kontextuelle Befreiungstheologien<br />
stellen, eine Anfrage an unsere gesamte - gesellschaftliche, aber auch wissenschaftliche<br />
und persönliche - Praxis und letztlich an die fundamentale Ausrichtung unseres Lebens.<br />
Was hoffen wir? Was glauben wir? Wie steht es um unsere Liebe? Schließlich sehen wir<br />
5<br />
6<br />
teilung der Wirklichkeit und der Beziehungen zwischen den Menschen. Es ist - so denke ich - auch<br />
nicht die Intention der biblischen Schriftsteller(Innen), über „Gott“ zu spekulieren, sondern sich kritisch<br />
mit ihrer Wirklichkeit auseinanderzusetzen. „Gott“ hierbei ,ins Spiel‘ zu bringen, ist die Art und<br />
Weise, wie diese die Realität beurteilen. In bezug <strong>auf</strong> Mt 25 bedeutet dies, daß Matthäus’ Aussageabsicht<br />
nicht darin besteht, „Gott“ als einen im Himmel thronenden Richter darzustellen, der die Menschen<br />
mit Höllenstrafen bedroht, sondern daß er, Matthäus, das Verhalten von Menschen, die sich von<br />
den Opfern der Gesellschaft abwenden, verurteilt. Positiv beurteilt er dagegen ein solidarisches Verhalten.<br />
Aber der entscheidende Punkt der Identifizierung des Richters mit den Opfern und Ausgeschlossenen<br />
der Gesellschaft bedeutet, daß sein oberstes Urteilskriterium zur Beurteilung der Wirklichkeit in<br />
deren Perspektive zu suchen ist. Und in diesem Sinn ist Mt 25 auch heute noch sehr relevant. - Im übrigen<br />
ist es, meiner Meinung nach, ein Jahrhunderte altes Mißverständnis der Bibel, aus ihr Existenzaussagen<br />
über Gott beziehen zu wollen; die Bibel selbst verwehrt dies - insbesondere durch ihr Bilderverbot!<br />
Auch wenn Mt 25 keine Existenzaussage über Gott macht, so sagt dieser Text uns dennoch, wo wir<br />
Gott begegnen können: in den Armen und Ausgeschlossenen. Und der Text legt keinen Wert dar<strong>auf</strong>,<br />
daß diese oder jene, die mit ihnen solidarisch sind, ChristInnen sein müßten. Allein der Aspekt der Solidarität<br />
ist für ihn von Bedeutung - und dieser ist für ihn als etwas „Göttliches“ qualifiziert. Als solche,<br />
die wir davon wissen und daran glauben, können wir Gott dann in der Tat in einer solidarischen Praxis<br />
an der Seite der Unterdrückten erfahren, <strong>auf</strong> eine symbolische Weise.<br />
Vgl. CHRISTOPH TÜRCKE, Kassensturz. Zur Lage der Theologie, S. 132<br />
A.a.O., S. 130f.