Das Titelbild („Der Baum“) wurde auf einem ... - Afrikanet.info
Das Titelbild („Der Baum“) wurde auf einem ... - Afrikanet.info
Das Titelbild („Der Baum“) wurde auf einem ... - Afrikanet.info
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
2 Der Kontext der théologie sous l’arbre 57<br />
Eingang findet. Dies ist notwendigerweise so und keineswegs etwas Beiläufiges oder Akzidentielles,<br />
was ebenso gut vernachlässigt werden könnte. Der historische Kontext gehört keinesfalls<br />
zu den Adiaphora, da genau hier der Ort der Heilsgeschichte zu finden ist und nicht etwa in einer<br />
jenseitigen Welt.<br />
Von daher ist es nur konsequent, daß für Jean-Marc Ela nicht in erster Linie abstrakte theologische<br />
Themen zum Gegenstand seiner theologischen Reflexion werden, sondern ganz konkrete<br />
Phänomene seines Kontextes - das, was „unter dem <strong>Baum“</strong> geschieht. Und dies setzt eine Kontext-Analyse<br />
voraus. Hierfür ist die Soziologie für Jean-Marc Ela eine nützliche Hilfe, aber<br />
entscheidender ist noch ein anderer Aspekt - und zwar derjenige der Perspektive: „Die Perspektive,<br />
die heute den Zugang zu einer profunden Kenntnis des afrikanischen Kontinents gewährt,<br />
ist der Blick der Armen und Marginalisierten <strong>auf</strong> ihre Gesellschaft, der Blick der Massen des<br />
Volkes, deren Unterdrückung in Afrika immer offensichtlicher wird.“ 3<br />
Diese Menschen sind es, die Afrika wirklich kennen und deshalb unter epistemologischem und<br />
hermeneutischem Gesichtspunkt den Vorrang genießen 4 . Die Perspektive „von unten“ öffnet in<br />
der Tat unseren Blick für Aspekte der Wirklichkeit, die im herrschenden Diskurs keinen Ort<br />
haben. Auf dem Land und in den Slums kommt das zum Ausdruck, was der offizielle Diskurs<br />
verschweigt - sei dies nun <strong>auf</strong>grund bestimmter Interessen oder wegen der „blinden Flecken“<br />
einer Perspektive „von oben“. 5 Diese Perspektive ist zum einen Jean-Marc Elas spezifischer,<br />
selbstgewählter Blickwinkel, zum anderen fordert er von der afrikanischen Kirche, ebenfalls<br />
diesen Blickwinkel einzunehmen, was ganz konkret bedeutet, sich praktisch und solidarisch an<br />
die Seite dieser Menschen („unter den <strong>Baum“</strong>) zu begeben und die tatsächlichen Lebensbedingungen<br />
der „Verdammten der Erde“ 6 <strong>auf</strong> sich zu nehmen.<br />
Dieses Kapitel ist so <strong>auf</strong>gebaut, daß <strong>auf</strong> die vorangegangenen Prolegomena ein knapper Gesamtüberblick<br />
über die kulturelle, soziale, ökonomische und politische Situation aus der Perspektive<br />
von Jean-Marc Ela folgt. An diese Globalsicht - quasi in diese eingebettet - schließen sich dann<br />
exemplarische Einzelanalysen 7 bestimmter Aspekte des Kontextes an, die für Jean-Marc Ela von<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
Grund, daß keine Rechenschaft abgelegt wird über die gesellschaftliche Funktion von Glaube und Theologie.<br />
„Le point de vue qui fait accéder à la connaissance profonde du continent africain, aujourd’hui, c’est le<br />
regard du pauvre et du marginalisé sur sa société, le regard des masses populaires dont l’oppression en<br />
Afrique est de plus en plus manifeste“; JEAN-MARC ELA, Le rôle des Eglises dans la libération du continent<br />
africain, Bulletin de Théologie Africaine 6, No. 12 (1984), 281-302 [zitiert als Le rôle des Eglises], S.<br />
290.<br />
Der hermeneutische Vorrang der Armen und Unterdrückten korreliert im übrigen mit ihrer vorrangigen<br />
theologischen Stellung, die wiederum <strong>auf</strong> Gottes biblisch bezeugter Parteilichkeit basiert.<br />
Vgl. a.a.O., S. 286.<br />
Dieser Begriff stammt aus der „Internationalen“, dem Kampflied der klassischen europäischen ArbeiterInnenbewegung.<br />
Der Text dieses Liedes geht zurück <strong>auf</strong> Eugène Pottier (1816-1887), der diesen als<br />
Mitglied der Pariser Kommune (1871) verfaßte. Der erste Satz lautet: „Wacht <strong>auf</strong>, Verdammte dieser<br />
Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt!“ (frz.: „Debout, les damnés de la terre, debout, les<br />
forçats de la faim“). Frantz Fanon (1925-1961), in Martinique geborener Arzt und Psychotherapeut,<br />
der sich Ende der 50er Jahre der algerischen Befreiungsbewegung anschloß, war es, der den Begriff der<br />
„Verdammten der Erde“ <strong>auf</strong> die Menschen der Dritten Welt bezog; vgl. FRANTZ FANON, Les Damnés de la<br />
terre, Paris, 1961 1 (dtsch.: Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main, 1966 1 ). Dieses Buch, das<br />
in 19 Sprachen übersetzt <strong>wurde</strong>, war so etwas wie das „kommunistische Manifest der anti-kolonialen<br />
Revolution“. Zu seiner Aktualität für heute vgl. FRANK HOFFMANN, Heilserwartung und Aufklärung, Freitag,<br />
Nr. 28 (3. Juli 1992), S. 13. - Jean-Marc Ela bezieht sich explizit <strong>auf</strong> dieses Buch, insbesondere <strong>auf</strong><br />
seinen Titel greift er häufig zurück, wenn er die Menschen Afrikas als „Verdammte der Erde“ charakterisiert.<br />
Diese Darstellung erhebt also keinen Anspruch <strong>auf</strong> Vollständigkeit. Es werden jeweils nur exemplarische<br />
Analysen von Jean-Marc Ela referiert. Die Quellenbasis ist <strong>auf</strong> seine theologischen Publikationen<br />
beschränkt, seine soziologischen Untersuchungen müssen hier leider weitestgehend unberücksichtigt<br />
bleiben; Jean-Marc Ela greift in seinen theologischen Texten jedoch auch <strong>auf</strong> diese zurück, so daß sie